Margaretha Bauer
Buchbesprechung
Veröffentlicht am: 
11. Februar 2013
DOI: 
10.15500/akm.11.02.2013

„Seit Clausewitz den eminent politischen Charakter des Krieges entdeckt hat, ist reine, isolierte Militärgeschichtsschreibung zu einem Unding geworden.“ (280) Dieser programmatische Anspruch von Stig Förster an eine moderne Militärgeschichte fasst am prägnantesten das Werk „Was ist Militärgeschichte?“ zusammen.

Der Aufsatzband, als sechster Band der Reihe „Krieg in der Geschichte“ (KRiG) erschienen, ist eine inzwischen klassisch gewordene Bestandsaufnahme der Militärgeschichte im deutschsprachigen Raum. Entstanden aus einer Tagung des Arbeitskreises Militärgeschichte 1998 in Bochum in Zusammenarbeit mit dem Institut für Soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum war es das erklärte Konzept der Herausgeber des Bandes die Debatten in der militärgeschichtlichen Forschung „über die kriegerische Gewalt als gesellschaftliches Phänomen“ und „über das Militär als politische Institution und als kulturellen Prägefaktor“ (7) voranzutreiben.

Indem die eigenen Methoden und technischen Grundlagen resümiert aber auch kritisch hinterfragt wurden, entstand ein Meilenstein in der Standortbestimmung der deutschsprachigen Militärgeschichtsforschung. Von den Herausgebern Thomas Kühne und Benjamin Ziemann im einleitenden Beitrag herausgestellt, behandeln die folgenden 17 Aufsätze sowohl methodisch vielfältige Forschungsansätze wie auch das Verhältnis zwischen den „Konjunkturen der empirischen Forschung und dem Mangel an begrifflicher Klärung in der Militärgeschichte“ (10).

Unterteilt in vier inhaltliche Blöcke mit Schwerpunkt auf der Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts werden unterschiedlichste Ansätze, Themenfelder und Perspektiven sowie unter dem Schlagwort „Instrumentalisierungen“ auch problematisch zu bewertende Forschungsbedingungen der Militärgeschichtsschreibung betrachtet. Zum Teil sehr unterschiedlich aber dennoch in allen drei Ländern Schweiz, Österreich und Deutschland ähnlich kritisch beurteilt wurden dabei Entwicklungen wie die Verbindung von militärhistorischer Forschung und Politik und den daraus resultierenden Bedingungen der Forschungsproduktion bis hin zur Themenfindung und -auswahl. Auch wenn aus heutiger Sicht die meisten dieser Probleme und Befürchtungen als überwunden gelten können, solange die fehlende universitäre Verankerung der Militärgeschichte fortbesteht, bleibt auch die Frage nach den Bedingungen der Militärgeschichtsforschung aktuell.

Die Bandbreite der im Hauptteil des Bandes besprochenen, teils etablierten teils neuen Methodenansätze in der modernen Militärgeschichtsforschung reichen dabei von der Operationsgeschichte über Politik-, Sozial- und Technikgeschichte bis zu Ansätzen der Kultur- oder Geschlechtergeschichte. Die Autoren aller Beiträge loten die mögliche Anwendung der genannten Methoden in der Militärgeschichte aus. Aus heutiger Sicht betrachtet lässt sich eine grundsätzliche Offenheit für verschiedenartige Ansätze vor allem der Sozial-, Kultur- und Gendergeschichte konstatieren, gleichzeitige gibt es andere Bereiche wie die Technik- und Wirtschaftsgeschichte des Militärs, die derzeit (wieder) stark diskutiert werden und als noch lange nicht ausgeforscht gelten können. Gerade im Hinblick auf die Bandbreite der in diesem Aufsatzband vorgestellten möglichen wie wünschenswerten Methodenvielfalt in der Militärgeschichtsforschung lohnt sich auch nach fast 15 Jahren ein Blick in diesen Sammelband.

Die Autoren des dritten, den Perspektiven der militärgeschichtlichen Forschung gewidmete, Kapitel konstatiert eine bereits „eingetretene Renaissance der Militärgeschichte“ (265), fordert aber zugleich eindringlich das Fortschreiten auf dem Weg zu einerseits dem Anschluss an die allgemeine Geschichte andererseits der Öffnung hin zur methodischen Vielfalt der Forschungsansätze. Abschließend folgt eine Bilanz zur Entwicklung der Militärgeschichte bis dato sowie eine Einschätzung von Dieter Langewiesche zur Debatte um eine „Neue Militärgeschichte“.

Der Aufsatzband „Was ist Militärgeschichte?“ bietet sowohl einen Überblick über die Methodenvielfalt der Militärgeschichtsforschung um die Jahrtausendwende wie auch ganz grundsätzliche und deshalb umso wegweisendere Einschätzungen zum eigentlichen Untersuchungsgegenstand Krieg und Militär. Besonders treffend formuliert hat die Bedeutung und Aufgabe, ja den eigentlichen Anspruch einer wirklich modernen Militärgeschichte Stig Förster in seinem Beitrag:

„Vor allem aber darf Krieg nicht durch die Abstraktion zu einer klinisch reinen Angelegenheit verniedlicht werden. Neben dem Studium operativer Entwürfe und taktischer Entscheidungen muß daher auch die Untersuchung der Kriegsführung gegen die Zivilbevölkerung treten – müssen die Hungerblockaden, die Flächenbombardements, die Massenvergewaltigungen und schließlich die Genozide gestellt werden. Und schließlich muß jedem Studierenden der Militärgeschichte klar sein, daß Soldaten normalerweise nicht den Heldentod auf dem Weg eines „sauberen“ Schusses in die Brust erleiden, sondern daß sie verbrennen, ihre Gliedmaßen verlieren, das halbe Gesicht weggeschossen bekommen, oder einfach zerfetzt werden. Wenn die Realität des Krieges in ihrer ganzen Grausamkeit untersucht wird, dann wird die Militärgeschichtsschreibung auch den besten Beitrag dazu leisten, daß ihr Forschungsgegenstand vielleicht doch eines fernen Tages nur noch von historischer Bedeutung sein wird.“ (281)

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