Teil VI der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
25. Januar 2021

Lieber Herr Dr. Sawicki, in einigen Gesprächen dieser Interviewreihe war schon von der engen Kooperation zwischen dem in Paderborn ansässigen Verlag Ferdinand Schöningh und dem Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. die Rede. Erwähnung fand bereits die Buchreihe „Krieg in der Geschichte“. Worin liegen die Ursprünge dieser engen Kooperation und der Buchreihe begründet?

Die Kontakte gehen auf Michael Werner als langjährigen Geschichtslektor bei Schöningh zurück, der in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die Reihe „Krieg in der Geschichte“ konzipierte. Er stand schon in dieser Zeit mit militärhistorisch arbeitenden Historikern und Historikerinnen in Kontakt, die sich auch bei der Konstituierung des AK Militärgeschichte engagierten – beispielsweise Stig Förster, Gerd Krumeich, Rüdiger Overmans oder Kerstin von Lingen. Die Ziele beider Initiativen waren ähnlich: die Bündelung seriöser Forschung zur Kriegs- und Militärgeschichte im deutschsprachigen Raum.

 

Wie umfangreich – quantitativ, aber auch thematisch – ist die Reihe „Krieg in der Geschichte“ und was sind ihre besonderen Charakteristika?

Die seit 1999 existierende Buchreihe umfasst mittlerweile 116 Bände. Abgedeckt werden alle Epochen von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Thematisch und methodisch besteht grundsätzlich Offenheit, sofern die wissenschaftliche Qualität ausgezeichnet ist – der Bogen spannt sich von eher klassisch sozialhistorisch oder auch operationsgeschichtlich akzentuierten Zugriffen bis hin zu geschlechter- und kulturwissenschaftlich orientierten Studien. Leitgedanke der Reihe ist dabei immer: Wie können die Themen Krieg und Militär in einer Weise bearbeitet werden, dass die Fragestellungen und Forschungsergebnisse anschlussfähig an den allgemeinen Diskurs der Geschichtswissenschaft sind?

 

Welche Entwicklung hat die Reihe aus Ihrer Sicht über die Jahre hinweg genommen?

„Krieg in der Geschichte“ (KriG)1 spiegelt selbstverständlich den Wandel der Themen und Fragestellungen in der Geschichtswissenschaft allgemein wider, sodass Fragen von Diskurs und Repräsentation, von Zentrum versus Peripherien, Geschlecht und (nationalen) Identitäten stärker reflektiert werden. Auch treten Untersuchungen zur Verrechtlichung von Kriegshandeln und zur Geschichte von Friedenssicherung ins Blickfeld. Der harmonische Generationswechsel von den Gründungsherausgebern zur neuen Konstellation mit Editorial Board und Beirat dokumentiert, dass es gelungen ist, die rechte Balance zwischen Tradition und Innovation bei der Reihe zu finden.

 

Eine Vielzahl der Bände sind sehr direkte oder indirekte Produkte von AKM-Tagungen beziehungsweise im AKM diskutierter Themenkomplexe. Welche Bände bilden aus Ihrer Sicht die Korsettstangen der Buchreihe und warum?

Die Frage ist schwierig zu beantworten bei inzwischen über 100 Bänden. Vielfach haben sich in der Reihe publizierte Bände aufgrund der Themensetzungen des Arbeitskreis Militärgeschichte als Veröffentlichungen erwiesen, denen eine Vorreiterfunktion zukam. Man denke etwa an die Bände zu „Kriegserfahrungen“, „Fahnenfluchten“, „Wehrmacht und sexuelle Gewalt“ oder „Soldatinnen“. Daneben ist hervorzuheben, dass in der Reihe dabei immer ein besonderes Augenmerk auf Studien zum nationalsozialistischen Vernichtungskrieg im Osten und der Rolle der Wehrmacht und der Waffen-SS gelegt wurde. Ich glaube nicht, dass man heute zur „Ostfront“ und der deutschen Besatzungsherrschaft forschen kann, ohne auf Bände in der Reihe „KriG“ zurückzugreifen.

 

Als Lektor haben Sie eine Vielzahl an militärhistorischen Studien gelesen. An welchen besonderen, vielleicht überraschenden Erkenntnisgewinn denken Sie als erstes, wenn Sie sich an Ihre Lektüre erinnern?

Es ist immer ein wenig ungerecht, einzelne Projekte hervorzuheben – zu unterschiedlich sind Methoden und Gegenstände. Georg Hoffmanns Buch über Lynchjustiz an abgeschossenen alliierten Flugzeugbesatzungen fand ich persönlich aus mehreren Gründen sehr eindrücklich: Verlegerisch gesehen als Schilderung einer ebenso spannenden wie fast vergessenen Facette des Kriegsgeschehens. Methodisch als gelungene Verknüpfung der Makro- und der Mikroebene, von der NS-Propaganda bis hinunter zum Handeln der Bauern und Dorfpolizei vor Ort – mit dem Erkenntnisgewinn, dass hier keineswegs primär ein spontaner „Volkszorn“ sich Bahn brach, sondern Aggression und Mord bewusst aus Berlin Vorschub geleistet wurde.

 

Gibt es militärhistorische Sujets, epochale oder auch regionale Felder, die Sie in den Bücherregalen Schöninghs noch nicht widergespiegelt oder unterrepräsentiert sehen? Welche sind das und woran liegt das?

An Wünschen mangelt es nicht: mehr Darstellungen zur Antike, mehr Verschränkungen von Archäologie und Geschichtswissenschaft, mehr zu asymmetrischen Kriegen, zum Luftkrieg, zur Bedeutung von Kommunikationstechniken für das Kriegsgeschehen, zum Krieg an den vermeintlichen Peripherien, zu Mittel- und Osteuropa zwischen 1918 und 1923 und nach 1945. International passiert da zwar einiges, in Österreich richtet sich der Blick der Forschung auch häufiger auf das östliche Mitteleuropa und den Balkan. Aber vielfach scheinen Sprachbarrieren Literaturstudium zu beschränken – früher musste man für das Geschichtsstudium oft Latinum oder Graecum und Kenntnisse in zwei lebenden Fremdsprachen nachweisen. Es mögen auch Laufbahnerwägungen eine Rolle spielen, weil sich viele Nachwuchswissenschaftler*innen für Stellenbesetzungen an den Universitäten eher Chancen ausrechnen, wenn sie sich als grundständige Generalisten mit für die modularisierte Lehre passendem Profil positionieren.

 

Einen großen Anteil an der engen Zusammenarbeit mit dem AKM trägt Michael Werner, langjähriger Lektor im Verlag Ferdinand Schöningh, der mittlerweile im wohlverdienten Ruhestand ist. Wie hat er es geschafft, dass auch nach ihm ein wesentlicher thematischer Schwerpunkt des Verlages auf Militärgeschichte liegt?

Michael Werner hat es mit enormem Einsatz, gewaltiger Sachkenntnis und immer freundlicher Zugänglichkeit geschafft, nicht nur viele bedeutende militärhistorisch Forschende seiner eigenen Generation zu Schöningh zu holen. Er hat auch den wissenschaftlichen Nachwuchs im Blick gehabt und viele gelungene Dissertationen betreut, deren Verfasser*innen Schöningh bis heute treu geblieben sind und Teil unseres Netzwerkes wurden. Es war eine Selbstverständlichkeit, diesen Programmbereich nach Michael Werners Ruhestand weiter zu pflegen und fortzuentwickeln – für die heute etablierten und ebenso für die jüngeren Wissenschaftler*innen.

 

Seit einiger Zeit findet sich im Portfolio des Verlages die Reihe „Schlachten – Stationen der Weltgeschichte“2. Was unterscheiden die Werke dieser Reihe von anderen, bereits vorhanden Schlachtenerzählungen? Die Idee der Reihe ist es, sich in schmaleren, gut lesbaren Bänden dem als „Schlacht“ bezeichneten verdichteten kriegerischen Geschehen differenziert und gedanklich anregend zu nähern. Daher wird in unserer Reihe nach einem einheitlichen Konzept die betreffende Schlacht zwar auch operationsgeschichtlich betrachtet, soweit das die Quellen- und Fundlage hergeben. Aber darüber hinaus wird jede Schlacht geschichtlich kontextualisiert, in ihren unmittelbaren Folgen wie auch ihrem Nachleben in der Überlieferung, in Deutungskämpfen und Erinnerungskultur behandelt.

 

Was macht aus Verlagssicht die Attraktivität und den besonderen Reiz militärgeschichtlicher Themen aus? Wie nehmen Sie die Entwicklung militärgeschichtlicher Forschung in Deutschland und des AKM wahr?

Viele militärhistorische Titel erzielen eine überdurchschnittliche Publikumsresonanz und profitieren vom „special interest“-Effekt. Das heißt, es gibt eine Leserschaft, die aktiv das Publikationsgeschehen verfolgt, sodass auch ein Verlag mit beschränkten Marketingmöglichkeiten seine Zielgruppe erreicht. Andererseits ist außerhalb der Academia das Interesse eher eng fokussiert: primär 1939-1945, primär operations- und technikgeschichtlich orientiert, schnell unkritisch. Da muss man immer im Blick behalten, was wir bei Schöningh verlegerisch verantworten wollen und was nicht. Den Arbeitskreis Militärgeschichte sehe ich vor allem als wichtiges stabilisierendes Element der militärhistorischen Forschung hierzulande. Seine Bedeutung wächst eher noch, denn das ZMSBW in Potsdam konzentriert sich ja zunehmend auf interne Zwecke und fährt die akademische historische Forschung eher zurück, was sicherlich langfristig auch Auswirkungen auf die Publikationsdichte im Forschungsfeld haben könnte. Ich bin nicht sicher, ob diese Perspektive eine Folge des Umstandes ist, dass Schöningh über Brill nun Teil eines global agierenden Verlages ist: Aber ich habe den Eindruck, dass die deutsche militärgeschichtliche Forschung noch etwas mehr internationale Anschlussfähigkeit suchen könnte: Manche Themen würden auf Englisch verfasst international rezipiert, und die Breite der Quellenbasis und Darstellungsmöglichkeiten nimmt massiv zu, wenn über das Englische hinaus weitere fremdsprachliche Erschließungsfähigkeiten bestehen – ich denke da spontan an die Reichhaltigkeit der jüngst in KriG erschienenen Studie von Christian Ganzer zur Festung Brest.

 

Was erhoffen Sie sich von der Zusammenarbeit mit dem AKM für die Zukunft?

Einen fortgesetzten Dialog, der zu vielen schönen Manuskripten für innovative Themenbände, interessanten Qualifikationsarbeiten und anderen Projekten führt, für die wir Publikationspartner sein dürfen.

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).

  • 1. Siehe zur Schriftenreihe „Krieg in der Geschichte“ (KriG) die entsprechenden Informationen auf der Homepage des Ferdinand Schöningh Verlags: www.schoeningh.de
  • 2. Zur Reihe „Schlachten – Stationen der Weltgeschichte“ sei ebenfalls auf die Webseite des Ferdinand Schöningh Verlags verwiesen: www.schoeningh.de