Teil III der Interviewreihe: 25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)
Daniel R. Bonenkamp/Takuma Melber
Interview
Veröffentlicht am: 
09. November 2020

Lieber Herr Prof. Förster, Sie waren von 2002 bis 2017 Erster Vorsitzender des Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (AKM), der im Jahr 2020 sein 25-jähriges Bestehen feiert. Welche Bilder oder Gedanken kommen in Ihnen auf, wenn Sie an die Anfänge des Arbeitskreises zurückdenken?

Förster: Unvergesslich ist mir die erste echte Jahrestagung des AKM zum Thema: „Was ist Militärgeschichte“. Die Tagung fand 1998 in einer Turnhalle in Bochum statt. Das Ambiente war schon recht speziell. Aber die Tagung war hochkarätig und passte natürlich thematisch sehr gut zu den Anfängen des AKM. Ich glaube, wir haben damals alle etwas für die zukünftige Arbeit des AKM gelernt. Wunderbar war auch der Enthusiasmus all der jungen Leute, die sich damals in der Turnhalle versammelten. Von da an wusste ich, dass der AKM eine gute Zukunft haben würde.

 

Wie kam es im Jahr 1995 eigentlich zur Gründung des AKM? Warum wurde der AKM 1995 gegründet und nicht fünf oder zehn Jahre früher oder später? Gab es hierfür einen besonderen Grund, ein (wissenschaftliches) Schlüsselereignis oder Ähnliches?

Förster: 1995 kamen viele Dinge zusammen. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt1 war von Freiburg nach Potsdam umgezogen. Es gab Befürchtungen (bei mir nicht), dass diese so wichtige Forschungsinstitution fortan primär militärischer Traditionspflege dienen würde. Deshalb fanden sich unter ehemaligen und auch unter noch aktiven Mitarbeitern des MGFA wichtige Persönlichkeiten, die nach neuen Wegen der Zusammenarbeit suchten. Auffallend war zudem, dass es inzwischen viele junge Leute – gerade auch Frauen – gab, die hervorragende Forschungsarbeit im Bereich Militärgeschichte leisteten. Ihnen sollte ein Forum geboten werden, in welchem sie mit älteren Kollegen in Kontakt treten und sich auch untereinander austauschen konnten. Wilhelm Deist, Gerd Krumeich und ich hatten die Idee, auf dem nächsten Historikertag die Gründung eines Arbeitskreises zur Diskussion zu stellen. Der Vorschlag fand breite Zustimmung.

 

Lassen Sie uns gemeinsam ein wenig auf Ihre Amtszeit als Vorsitzender des AKM (2002-2017) zurückblicken. Wie stand der AKM zu Beginn Ihrer Amtszeit im Jahr 2002 da, sieben Jahre nach seiner Gründung? Welche Aufgaben wollten Sie 2002 zu Beginn Ihrer Amtszeit als Vorstand angehen?

Förster: Der AKM war schon in den ersten Jahren sehr erfolgreich und gut geführt. Die Jahrestagungen entwickelten sich zu einer Institution und wurden in der Regel in Buchform veröffentlicht. Mit dem Newsletter verfügten wir über ein nützliches Kommunikationsorgan. Die Mitgliederzahlen wuchsen beständig. Insofern begann der neue Vorstand ab 2002 seine Arbeit unter günstigen Bedingungen. Darauf galt es aufzubauen. Ziel war die Verjüngung des Vorstandes, die thematische Diversifizierung der Tagungen und Workshops, der Ausbau internationaler Kontakte, eine verbesserte Zusammenarbeit mit anderen Arbeitskreisen und Institutionen, die im Bereich Militärgeschichte tätig waren.

 

Was waren die wesentlichen Errungenschaften und Entwicklungen des AKM innerhalb ihres 15-jährigens Vorsitzes?

Förster: Besonders wichtig war mir die Verbesserung der Beziehungen zum MGFA, denn gemeinsam konnten wir so viel erreichen. Das ist in vollem Umfang gelungen. Die Zusammenarbeit mit dem nunmehr als Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) neu aufgestellten früheren Amt ist jetzt ausgezeichnet. Mehrere Tagungen haben wir zusammen organisiert. Es gibt eine gewisse personelle Verzahnung und regen wissenschaftlichen Austausch. Sehr gut gelungen ist auch die Umwandlung des Newsletters in das Internet-Portal, was aber nicht mein Verdienst war. Insgesamt hat der Arbeitskreis sich gut weiterentwickelt.

 

Mit Sicherheit wird es Dinge geben, die Sie gerne erreicht hätten, aber nicht umsetzen oder realisieren konnten. Welche waren das und woran lag das?

Förster: Der AKM dient ja auch und vor allem der Nachwuchsförderung. Das ist in mancher Hinsicht gelungen. Einige der jungen Leute aus der Gründungsphase sind inzwischen habilitiert. Aber leider ist es nur allzu Wenigen gelungen, eine erfolgreiche universitäre Karriere zu absolvieren. Militärgeschichte ist an den Universitäten und bei den Berufungskommissionen in Deutschland und auch in anderen Ländern nicht gerade populär. Alte Vorurteile sind bis heute kaum überwunden. Der AKM muss sich weiter darum bemühen, diese Vorurteile, denen zufolge die Militärgeschichte eine Spielwiese für rechtsgerichtete Waffennarren sei, abbauen zu helfen. Das geschieht am besten, indem die Leistungsfähigkeit und der Erkenntnisgewinn der modernen Militärgeschichte immer wieder demonstriert werden.

 

An welche besonderen AKM-Ereignisse und –Momente erinnern Sie sich gerne zurück – zum einen aus akademisch-wissenschaftlicher Sicht, zum anderen aber auch aus eher persönlich-privater Sicht betrachtet?

Förster: Da gab es viele schöne Momente. Einige Tagungen und brillante Vorträge sind mir in besonderer Erinnerung. Alte Freundschaften wurden aufgefrischt (zum Beispiel mit Gerd Krumeich) und neue (etwa mit Gundula Bavendamm und Sönke Neitzel) entstanden. Besonders gerne erinnere ich mich an die wunderbare Beziehung zu Wilhelm Deist und seiner Frau Ursula.

 

Seit 2006 wird jährlich auf der AKM-Jahresversammlung der Wilhelm-Deist-Preis (WDP) für Militärgeschichte verliehen, den Sie ja federführend mitinitiiert haben. Welche Intention steckte hinter der Schaffung des WDP und welche Relevanz hat die Preisverleihung bis heute?

Förster: Auch hier ging es vor allem um Nachwuchsförderung. Preise für Dissertationen, Bücher etc. gibt es ja einige. Wir wollten aber junge Leute fördern, die auf dem Gebiet der Militärgeschichte herausragende studentische Abschlussarbeiten verfasst hatten. Einen derartigen Preis gab es noch nicht – und tatsächlich haben mehrere Preisträger den Ansporn zu weiteren wissenschaftlichen Leistungen genutzt.

 

Der Preis erinnert ja an den deutschen Militärhistoriker Prof. Wilhelm Deist (1931-2003), den allerersten Vorsitzenden des AKM von 1995 bis 2002, in dessen Fußstapfen Sie 2002 als AKM-Vorsitzender traten. Was waren/sind die besonderen Verdienste Wilhelm Deists für die Wissenschaft im Allgemeinen, aber auch den AKM im Speziellen?

Förster: Wilhelm Deist war einer der wichtigsten Militärhistoriker der Nachkriegszeit, hat maßgeblich am Aufbau des MGFA mitgewirkt und als „Leitender Historiker“ dort die zivile Militärgeschichtsschreibung in Deutschland und auch international entscheidend gefördert. Seine Publikationen zur Militärgeschichte des Deutschen Kaiserreiches waren bahnbrechend. Ganz wichtig war auch seine führende Mitarbeit am monumentalen Werk „Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg“. Es war natürlich ein Glücksfall für den AKM, eine derart prominente Persönlichkeit als Gründungsvorsitzenden zu gewinnen. Wilhelm Deist hat denn auch in den manchmal stürmischen und hektischen Anfangsjahren des Arbeitskreises mit seiner ruhigen und gewinnenden Art für Ausgleich gesorgt. Zudem waren seine Anregungen und sein Vorbild für die Jüngeren wichtige Erfahrungen.

 

Als gebürtiger Berliner hatten Sie mehr als zwei Jahrzehnte lang eine Professur an der Universität Bern inne. Welche markanten Unterschiede, aber auch Parallelen gibt es zwischen der Schweiz und der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich Rolle und Stellenwert des Militärischen und der Militärgeschichte in Wissenschaft und Gesellschaft?

Förster: Ein entscheidender Unterschied besteht in der Geschichte des Militärs in beiden Ländern. Die Schweizer Armee hat seit 1815 keinen Krieg mehr geführt und schon gar keine Kriegsverbrechen begangen. Insofern ist die Beziehung zur Geschichte des Militärs in der Schweiz weniger gebrochen als in Deutschland. Hinzu kommt natürlich der besondere Charakter der Milizarmee. Allerdings führt diese Tradition in konservativen Kreisen mitunter zu einer unkritischen Verklärung der Armee. Die Schweizer Militärgeschichtsschreibung hat darunter lange Zeit gelitten und war ziemlich antiquiert. Das hat sich aber in den letzten Jahren deutlich geändert. Inzwischen wird hier Forschung auf internationalem Niveau betrieben. Allerdings hat die moderne kritische Militärgeschichte nicht mehr so viel Rückhalt bei gesellschaftlichen und politische Eliten. Dementsprechend ist Militärgeschichte auch in der Schweiz an Universitäten untervertreten, obwohl viele Studierende sich für dieses Thema durchaus interessieren.

 

Was sind Ihrer Meinung nach die großen militärgeschichtlichen Fragestellungen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, mit denen sich der AKM im nächsten Vierteljahrhundert auseinandersetzen wird?

Förster: Außereuropäische Konfliktzonen und deren historische Grundlagen müssen noch mehr untersucht werden. Das gilt zum Beispiel ganz besonders für die Militärgeschichte Chinas. Zudem könnten noch die Beziehungen zwischen Krieg, Klima und Umwelt sehr viel besser erforscht werden. Wirtschaftsgeschichte und Militärgeschichte müssen stärker miteinander verzahnt werden.

 

Welche Worte möchten Sie dem AKM anlässlich des 25-jährigen Jubiläums zukommen oder zukunftsgewandt mit auf den Weg geben?

Förster: Neulich stand ich am Grab von Herbert Marcuse2. Auf dem Grabstein steht ein Wahlspruch, der typisch für den Berliner Humor dieses großen Mannes ist, aber auch zur zukünftigen Arbeit des AKM passt: WEITERMACHEN!

 

Zur Übersicht über die Interviewreihe "25 Jahre Arbeitskreis Militärgeschichte e.V. (1995-2020)" (Link).

  • 1. Das Militärgeschichtliche Forschungsamt (MGFA) wurde 2012 mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der Bundeswehr in das neu gegründete Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) zusammengeführt.
  • 2. Herbert Marcuse war ein deutsch-amerikanischer Philosoph. Siehe: https://www.britannica.com/biography/Herbert-Marcuse