Der Krieg im slowenischen-triestinischen Karst 1915-1917
Gustavo Corni
Buchbesprechung
Veröffentlicht am: 
12. September 2015

Einhundert Jahre nach seinem Beginn widmen Historiker und Regierungen ebenso wie Öffentlichkeit und Medien der Geschichte des Ersten Weltkrieges eine lange nicht gekannte Aufmerksamkeit. Damit verbunden sind nicht wenige bedeutende Fortschritte in Richtung einer wirklichen Internationalisierung der Weltkriegsforschung. Angesichts einer bereits ausufernden internationalen Literatur mag dies nicht neu erscheinen.

Doch der österreichische Fall ist in dieser Hinsicht bemerkenswert. Lange Zeit wurde in Österreich der Krieg 1914-1918, “Österreich-Ungarns letzter Krieg”, sowohl von den Historikern wie auch von der allgemeinen Öffentlichkeit weitgehend vernachlässigt. Es war anscheinend schwierig und auch politisch unratsam von einem schrecklichen Krieg zu schreiben, der die Zerstörung eines sehr alten und mächtigen Kaiserreiches verursacht hatte, und Österreich zu einen unbedeutenden Kleinstaat reduziert hat.

In den letzten Jahren hat sich das Interesse für dieses Thema verstärkt: von der wichtigen Zusammenfassung von Manfred Rauchensteiner bis zu den stark auf sozialgeschichtliche Themen ausgerichteten Studien der Innsbrucker Historiker Barth-Scalmani, Kuprian, Überegger und anderer mehr. Die Militärgeschichte im engeren Sinne ist, einem unaufhaltsamen internationalen Trend folgend, mit der großen Ausnahme der angelsächsischen Historiographie in dieser Konjunktur in der zweiten Reihe geblieben.

Das hier besprochene Buch ist eigentlich von einem bekannten Kulturhistoriker verfasst worden, der seine Studien insbesondere den sozio-kulturellen Dynamiken des fin-de-siécle-Wien gewidmet hat: Lutz Musner. Er ist sicher kein Militärhistoriker; hat aber in diesem Buch den Versuch gewagt, eine Synthese zwischen dem ihm so gut bekannten kulturgeschichtlichen Ansatz einerseits und der Militärgeschichte andererseits durchzuführen. Dem Verfasser ist klar, dass jegliche Darstellung im Bereich der cultural studies nicht an der Tatsache vorbeikommt, dass man, wenn man über den Krieg spricht, die militärischen Aspekte besser nicht unterschätzen oder gar ignorieren sollte.

Musners Ansatz ist in dieser Hinsicht originell. Vor allem auch weil der Wiener Historiker in seiner Analyse nicht nur Krieg und Kultur, sondern auch ein drittes Element einführt: die Landschaft. Er analysiert den Karst tiefgehend und kontrastiert die Idylle des “Landes der blauen Distel”, gepriesen von Reisenden und Literaten des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, mit der kahlen und steinigen “Hölle”, in der Hunderttausende von Soldaten jahrelang gelitten und gekämpft haben.

Das Buch bewegt sich also auf einem dreifachen Terrain, wobei die einzelnen Kapitel jeweils dem einen oder dem anderen Aspekt gewidmet sind. Vier Kapitel sind fast exklusiv einer chronologischen Darstellung der militärischen Ereignisse gewidmet, Schlacht nach Schlacht, Angriff nach Angriff, und Musner rekonstruiert im Detail diese Ereignisse. Zwei weitere Kapitel zielen ausdrücklich auf eine Analyse der Landschaft, ihrer vom Krieg verursachten Veränderungen sowie der Wechselwirkungen von Krieg und Landschaft in der Perzeption der Kämpfenden. Andere Kapitel beschäftigen sich mit kulturellen Aspekten: von der Analyse des Karstes als Objekt der Darlegungen von Intellektuellen und Zeitzeugen, die direkt an den blutigen Kämpfen teilgenommen haben, bis zu einer allgemeineren Analyse des mechanischen Wesens des Großen Krieges. Dieser verursacht eine “Verdinglichung” des Kriegsgeschehens, die den Akteur ohnmächtig macht. Ein letztes Kapitel behandelt schließlich die Bedeutung des Kriegserlebnisses auf dem Karst für viele der Veteranen, als eine “Schule totalitärer Phantasien”. Viele der arditi haben in der unmittelbaren Nachkriegszeit die faschistischen squadre gegründet, während österreichische Offiziere in den Heimwehren und danach auf der Seite des Nationalsozialismus militant geworden sind.

In allen Aspekten dieser dreifachen Analyse ist das Buch von Lutz Musner klar und scharfblickend. Seine zusammenfassende Wiedergabe der Kriegsereignisse auf dem Karst ist breit und tiefgehend zugleich. Das Buch ist daher – nach Meinung des Rezensenten - ein wichtiger Beitrag, nicht nur für eine bessere Kenntnis der Kriegsereignisse zwischen Italien und Österreich-Ungarn, sondern auch für das Verständnis des Weltkrieges insgesamt.

Die Kämpfe an der Südfront werden so berechtigterweise als eine wichtige und besonders blutige Seite des Ersten Weltkrieges gewürdigt und nicht, wie es bisher oft in der internationalen Literatur gewesen ist, als ein Anhängsel von zweitrangiger Bedeutung. Das Buch ist auch ein wichtiger Beitrag, um – soweit das überhaupt möglich ist – den Blick der Kämpfenden auf den Krieg und die damit verbundenen Emotionen zu verstehen.

Der Band hat aber auch seine Schwächen, auf die im folgenden eingegangen werden soll. Obwohl Musner – in manchen Aspekten durchaus mit Erfolg – den Versuch wagt eine bilaterale Geschichte zu schreiben, bezieht er sich hauptsächlich auf österreichisch-ungarische Quellen. Die Betrachtung der italienischen Seite fällt demgegenüber weit weniger intensiv aus. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass der Wiener Kulturhistoriker die italienische Sprache nicht so gut beherrscht. Die sprachliche Hürde ist vielen Forschern gemeinsam und behindert jegliche Versuche eine wirklich umfassende Geschichte des Ersten Weltkrieges zu schreiben.

Ein zweiter kritischer Punkt ergibt sich aus der inhaltlichen Struktur des Buches. Nicht immer sind die einzelnen Teile, die jeweils den militärischen, sozio-kulturellen und landschaftlichen Aspekten des Themas gewidmet sind, harmonisch miteinander verknüpft. Die verschiedenen methodischen Ansätze prägen dabei auch die Sprache der jeweiligen Kapitel, so dass diese sich stilistisch zum Teil erheblich voneinander unterscheiden. Zusammenfassend, scheint mir jedoch, dass Musner einen wichtigen Weg gezeigt hat, auf dem in der nächsten Zukunft deutschsprachige und italienische Historiker arbeiten sollten. Auch deswegen würde es sich lohnen, das Buch ins Italienische zu übersetzen.

 

Lutz Musner, Die verletzte Trommel. Der Krieg im slowenischen-triestinischen Karst 1915-1917, new academic press, Wien, 2014, 185 Seiten, 27,90 €, ISBN 978-3-7003-1927-6.

 

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