Die Buchbestände der Bibliothek für Zeitgeschichte zum Ersten Weltkrieg
Christian Westerhoff
Miszelle
Veröffentlicht am: 
12. Mai 2014
Schwerpunktherausgeber: 
DOI: 
10.15500/akm.13.05.2014

Die Bibliothek für Zeitgeschichte (BfZ) sammelt seit ihrer Gründung 1915 Literatur zum Ersten Weltkrieg. Da der „Große Krieg“ über Jahrzehnte ein wichtiger Sammelschwerpunkt war, besitzt die ehemalige „Weltkriegsbücherei“ (WKB) heute bedeutende Bestände zum Thema. Insbesondere der große Anteil fremdsprachiger Werke, das breit gesammelte zeitgenössische Propagandaschrifttum und die geschlossen erhaltene Sammlung von Literatur aus der Weimarer Republik machten die BfZ zu einer wichtigen Anlaufstelle für die Forschung.

„Überaus reichhaltige Kriegsliteratur“1: Literatur aus der Zeit des Ersten Weltkrieges

Obwohl zahlreiche Autoren und Verleger einberufen wurden und Papier knapp war, kam es bereits während des Ersten Weltkrieges zu einer „Flut von Büchern“2, die sich mit dem Krieg auseinandersetzte (Abb. 1). Hierzu trug nicht nur der Wunsch der Verlage bei, die Kriegsanstrengungen zu unterstützen, sondern auch die große Nachfrage des Publikums. So erreichten Werke wie die „Kriegshefte“ Manfred von Richthofens oder „Der Wanderer zwischen beiden Welten“ von Walter Flex sehr hohe Auflagen. Die Kriegspublikationen umfassten nicht nur Belletristik und Erlebnisberichte, sondern auch Sachbücher wie Dokumentensammlungen und Ratgeber oder Gebetsbücher.

Für viele Zeitgenossen sollte die Kriegsliteratur zwei widersprüchliche Bedürfnisse ansprechen: Zum einen bestand der Wunsch, die schreckliche Realität des Krieges zu verdrängen und in Fantasiewelten zu flüchten. Zum anderen diente die Literatur dazu, den realen Krieg zu verstehen. Nach 1918 hatten viele Kriegsteilnehmer das Bedürfnis, ihre Erlebnisse festzuhalten und zu verarbeiten. Das Gedächtnis an den Krieg und die Interpretation seiner Ursachen, der Kriegführung und der Niederlage waren zwischen den verschiedenen politischen Lagern der Weimarer Republik heftig umstritten. Vor diesem Hintergrund versuchten viele Autoren, ihre jeweilige Sicht auf den Krieg darzustellen und damit Einfluss auf die Deutung des Krieges zu nehmen.

Eine „kolossale Kollektion“3: Geschichte und Umfang der Buchbestände der BfZ zum Ersten Weltkrieg

Bibliothekare, Archivare und private Sammler wurden bald auf die „Bücherflut“ zum Weltkrieg aufmerksam. Weit verbreitet war die Meinung, dass hier ein Ereignis von welthistorischer Bedeutung dokumentiert wurde. Zahlreiche Institutionen und Privatpersonen begannen daher schon kurz nach Kriegsbeginn, Kriegssammlungen anzulegen. In einem 1917 erschienenen Verzeichnis sind allein in Deutschland 217 Kriegssammlungen aufgeführt.4

Eine dieser Sammlungen war die Weltkriegsbücherei, die der schwäbische Industrielle Richard Franck 1915 ins Leben rief. Die 1948 in „Bibliothek für Zeitgeschichte“ umbenannte WKB sammelte sehr breit die umfangreiche Literatur zum Ersten Weltkrieg. Neben Werken zum politischen und militärischen Geschehen wurden auch die technischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Aspekte des Krieges berücksichtigt. In großem Umfang wurden Truppengeschichten und Memoiren von Kriegsteilnehmern gesammelt. Außerdem legte die Bibliothek eine große Sammlung an Propagandaschriften und Broschüren an. Zahlreich erworben wurden ebenso Anleitungen und Ratgeber zu verschiedenen Problemen und Fragen des Kriegsalltags, z.B. zum Umgang mit Kriegsbeschädigungen. Selbst religiöse Schriften, literarische Texte wie Gedichte und Theaterstücke sowie Kinder- und Kochbücher (Abb. 2) wurden angeschafft. Der zeitliche Rahmen reichte von den Ursachen des Krieges über den Krieg selbst bis zu seinen politischen und gesellschaftlichen Nachwirkungen in der Zwischenkriegszeit.

Die Zeit des Weltkrieges sollte in allen Facetten dokumentiert werden. Durch die internationalen Kontakte der Firma Franck konnte sogar während des Krieges ausländisches Schrifttum umfassend erworben werden (Abb. 3). 1918 verfügte die Bibliothek bereits über einen Bestand von insgesamt 45.000 Büchern und Druckschriften.5

Im Gegensatz zu anderen Kriegssammlungen war die WKB durch die Unterstützung der Firma Franck in der Lage, die Sammlung von Literatur zum Ersten Weltkrieg auch nach 1918 unvermindert fortzusetzen. Insbesondere zur Zeit der Inflation war die WKB aufgrund der privaten Trägerschaft und deren Devisenvermögens begünstigt. So konnte sie vor allem bei der ausländischen Literatur die große Lücke füllen, die sich bei den staatlichen Bibliotheken auftat. In der Zwischenkriegszeit begann die Bibliothek außerdem, ihr Sammelspektrum über den Ersten Weltkrieg hinaus auf die gesamte Zeitgeschichte auszudehnen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Bibliothek bei einem alliierten Luftangriff getroffen und brannte weitgehend aus. Glücklicherweise waren die Buchbestände größtenteils ausgelagert worden, sodass die von 1915 bis 1933 beschaffte Literatur zum Ersten Weltkrieg von den Zerstörungen kaum betroffen war. Lediglich Großformate und Reihenwerke wurden vernichtet. Dadurch ist ein einmaliger historischer Buchbestand fast vollständig erhalten.

Nach 1945 begann die Bibliothek mittels Geschenk und Tausch viele der Kriegsverluste wieder zu ersetzen. Während die Mittel für Neuerwerbungen in den 1940er und 1950er Jahren knapp waren, konnte ab 1960 auch wieder die neu erscheinende Literatur zum Ersten Weltkrieg vollständig angeschafft werden. Fördergelder der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) ermöglichten es der BfZ in der Folgezeit zudem, Lücken zu ergänzen und spezielle fremdsprachige Titel (Abb. 4) zu erwerben.

Allerdings erschienen nach 1945 wesentlich mehr Titel zum Zweiten als zum Ersten Weltkrieg. Entsprechend verlagerte sich auch das Anschaffungsprofil der BfZ. Dies zeigt z.B. der Blick in die „Bücherschau der Weltkriegsbücherei“. So findet sich in Heft 1 von 1955 nur eine Seite mit Titeln zum Ersten Weltkrieg, während die Auflistung der Neuerscheinungen zum Zweiten Weltkrieg mehr als 20 Seiten einnimmt.6 In der Jahresbibliographie der Bibliothek für Zeitgeschichte 1984 findet sich sogar nur ein einziger Titel zum Ersten Weltkrieg.7 Erst in den 1990er Jahren wurde der Erste Weltkrieg wieder verstärkt Gegenstand der historischen Forschung. Eine neue „Flut an Büchern“ bringt seit 2013 das Gedenken an 100 Jahre Erster Weltkrieg hervor. Allein in den Monaten September und Oktober 2013 sollen weltweit 500 Bücher zum Ersten Weltkrieg veröffentlicht worden sein.8 Die BfZ strebt an, sämtliche zum Thema veröffentlichte Titel zu erwerben.

Recherche und Nutzung der Bestände

Seit 1949 befinden sich die Bestände der BfZ in den Räumen der Württembergischen Landesbibliothek (WLB) in Stuttgart. Ab 1974 wurden die Neuerwerbungen der BfZ zusätzlich, seit 1990 ausschließlich im Katalog der WLB nachgewiesen. Heute stehen dem Nutzer drei Kataloge zur Recherche zur Verfügung:

Online-Katalog

Bücher, die nach 1980 erschienen sind, können im Online-Katalog der WLB recherchiert werden (www.wlb-stuttgart.de/index.php?id=15). Die hier verzeichnete Literatur ist auch im Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK, http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html) nachgewiesen.

Digitalisierter Alphabetischer Katalog

Die vor 1980 erschienene Literatur wird in einem gesonderten Bereich des digitalisierten Zettelkatalogs der WLB nachgewiesen (www.wlb-stuttgart.de/index.php?id=15).

Systematischer Katalog

Der Systematische Katalog der BfZ (Erscheinungsjahre bis 1995) wurde als Mikrofiche-Ausgabe publiziert und kann im Lesesaal der Württembergischen Landesbibliothek eingesehen werden. Die Publikation ist auch in anderen größeren Bibliotheken vorhanden.

Bibliographien

Neben dem Nachweis ihrer Bestände über Kataloge begann die Bibliothek 1921, in regelmäßig erscheinenden Berichten ihre Neuerwerbungen vorzustellen. Diese Neuerwerbungslisten wurden im Laufe der 1930er Jahre zu einer Bibliographie weiterentwickelt, in der jährlich ca. 2.000-2.500 Bücher und Aufsätze sowie 500 Besprechungen nachgewiesen wurden. Die Bibliographie wurde mit Ausnahme der Jahre 1945-1952 bis 1997 fortgeführt.9

Benutzung

Die Buchbestände der BfZ sind, sofern nicht konservatorische Argumente dagegen sprechen, über die WLB bzw. über die Fernleihe ausleihbar.

Digitalisierung

Mit Blick auf das Centenaire 2014 hat die BfZ ca. 100 Bücher und Broschüren digitalisiert. Weitere 250 Werke sollen demnächst folgen. Die digitalisierten Werke decken verschiedene Aspekte des Ersten Weltkrieges exemplarisch ab und geben Einblick in das militärische, politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben während des Krieges. Neben Werken zu den Themen Propaganda und Fürsorge wurde auch die Ratgeberliteratur zum Kriegsalltag breit berücksichtigt. Die Erinnerung an den Krieg und die Kriegsteilnehmer spiegeln die Gedenkschriften und Chroniken verschiedener Orte, Organisationen und Truppenteile wider. 2014 wird das Angebot insbesondere um publizierte Tagebücher und Briefsammlungen ergänzt werden. Auch unveröffentlichte Tagebücher sowie Literatur zu den Themenkomplexen Besatzung und Kriegsgefangenschaft sollen digitalisiert werden. Neben deutschen Titeln wurden auch Werke aus dem Ausland einbezogen, die in deutschen Bibliotheken bisher nicht online zugänglich sind. Generell umfasst die Auswahl Werke, die für Forschung und Lehre eine wichtige Ergänzung zu bestehenden Digitalen Sammlungen bilden.

Die Digitalisate sind im Online-Katalog der WLB (www.wlb-stuttgart.de/index.php?id=15) sowie überregional über den Karlsruher Virtuellen Katalog (KVK, http://www.ubka.uni-karlsruhe.de/kvk.html) nachgewiesen. Darüber hinaus kann der Nutzer über die Digitalen Sammlungen der WLB (http://digital.wlb-stuttgart.de/digitale-sammlungen/listenansicht/?no_ca...) in der Titelliste der Bibliothek für Zeitgeschichte browsen.

  • 1. Richard Franck, Eine Bitte. In: Mitteilungen von Ihrer Firma und Ihren Kollegen, 13.11.1915, abgedruckt in: Jürgen Rohwer, 50 Jahre Weltkriegsbücherei/Bibliothek für Zeitgeschichte, in: 50 Jahre Bibliothek für Zeitgeschichte 1915-1965, Frankfurt am Main 1965, S. 2 f.
  • 2. Nicolas Beaupré, Eine Flut von Büchern in den kriegführenden Ländern. In: In Papiergewittern. 1914-1918, Die Kriegssammlungen der Bibliotheken, Paris 2008, S. 218-225.
  • 3. Elisabet Kossow, Aus der Buchabteilung der "Weltkriegsbücherei". In: Mitteilungen des Verbandes deutscher Kriegssammlungen 1 (1919), H. 3, S. 109, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/mitteilungenvdk1919/0140.
  • 4. Zu den Kriegssammlungen des Ersten Weltkriegs hat die Arbeitsgemeinschaft der Regionalbibliotheken im Deutschen Bibliotheksverband eine aktuelle Übersicht inklusive Hintergrundinformationen erstellt. Siehe https://www.kriegssammlungen.de/ sowie Julia Hiller von Gaertringen (Hrsg.), Kriegssammlungen 1914-1918 (Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie – Sonderband), Frankfurt am Main 2014.
  • 5. Jürgen Rohwer, 50 Jahre Weltkriegsbücherei/Bibliothek für Zeitgeschichte. In: 50 Jahre Bibliothek für Zeitgeschichte 1915-1965. Frankfurt am Main 1965, S. 4.
  • 6. Bücherschau der Weltkriegsbücherei 27 (1955), H. 1.
  • 7. Jahresbibliographie Bibliothek für Zeitgeschichte 56 (1984), S. 163.
  • 8. Alan Kramer, Recent Historiography of the First World War – Part I. In: Journal of Modern European History 12 (2014), H. 1, S. 5.
  • 9. 1921-1937 „Berichte der Weltkriegsbücherei“; 1937-1939 „Neuerwerbungen und Bücherschau der Weltkriegsbücherei“; 1939-1944 „Bücherschau der Weltkriegsbücherei“; außerdem 1934-1944 „Vierteljahrshefte der Weltkriegsbücherei“. Ab 1953 dann „Bücherschau der Weltkriegsbücherei“, 1960-1997 „Jahresbibliographie Bibliothek für Zeitgeschichte“.
Abb. 2: Kriegskochbuch von 1917: Dorothy Constance Peel, The eat-less-meat book. War ration housekeeping, London 1917.
Abb. 3: Fremdsprachige Kriegsliteratur aus den Beständen der BfZ
Abb. 4: Ungarische Erzählungen aus dem Jahr 1917. Das Buch ist deutschlandweit nur in der BfZ nachgewiesen.
Abb. 5: Buchbestände der BfZ zum Ersten Weltkrieg
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