Zwei aktuelle Beispiele für den Umgang mit Bildern
Markus Pöhlmann
Miszelle
Veröffentlicht am: 
11. August 2014

Dass die kollektive Erinnerung an den Ersten Weltkrieg in Deutschland schwächer ausgeprägt ist als etwa in Großbritannien, kann als ausgemacht gelten. Als der 100. Jahrestag des Kriegsbeginns seine Schatten vorauswarf, bestand bei Historikern und Medienleuten durchaus Unklarheit darüber, welche Ausprägung und Intensität das Gedenken hierzulande annehmen würde. Als Zwischenfazit lässt sich aber schon im August 2014 sagen, dass die Wahrnehmung des Ereignisses breit und vielfältig ist. Der Weltkrieg wird – über die Academia und das Feuilleton hinaus – in Gedenkveranstaltungen, in historischen Ausstellungen, in Oper- und Theateraufführungen sowie vielfältigen lokalen Kulturprojekten, in Romanen, Comics und Internetprojekten thematisiert. Dies ist ein erfreuliches Ergebnis, das es zunächst einmal festzuhalten gilt.

 

Bilder nehmen in diesem Prozess der Wiederentdeckung des Ersten Weltkrieges eine immer wichtigere Rolle ein. Umso erstaunlicher ist die ikonische Hilflosigkeit, die mitunter in der bundesrepublikanischen Medienlandschaft auszumachen ist. Für das globale Großereignis, das in der öffentlichen Wahrnehmung lange unterbelichtet war, fehlt nun scheinbar der nationale Bilderkorpus. Der Rückgriff auf die Bilder der Anderen wurde hier zum wohlfeilen Kunstgriff für Redakteure, Buchgestalter und Webgrafiker.

Ein Beispiel hierfür bietet die Website des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V., dem neben seiner ehrenvollen Aufgabe im vergangenen Jahr auch noch die Gedenkarbeit auf Bundesebene übertragen wurde. Anders als die britische Partnerorganisation, die Commonwealth War Graves Commission, verfügt der Volksbund über kein derart einprägsames Symbol der Erinnerung wie die flandrische Mohnblume (Poppy). Historisch naheliegende Alternativen zur Symbolisierung des Kriegstodes wie etwa das Eiserne Kreuz wurden bei den Überlegungen zur Corporate Identity des Projektes vermutlich wegen des militärischen Gehalts nicht in Erwägung gezogen. Gleichwohl hat die erinnerungssymbolische Nachrüstung schon eingesetzt. Die deutsche Antwort auf die Invasion der Poppies ist da! Es ist – das Vergissmeinnicht (http://100-jahre-erster-weltkrieg.eu/).

Was auf den ersten Blick als Verlegenheitslösung einer hastig engagierten externen Kommunikationsagentur erscheinen könnte, ist doch spannender als es scheint. Denn das treudeutsche Vergissmeinnicht lässt durchaus Raum für weitergehende Räsonnements: Wird der Park um das Bundespräsidialamt nun bald zu einem Meer aus blauen Blumen? Haben sich die Gartencenter schon auf den Ansturm erinnerungswütiger Heimgärtner eingestellt? Werden die deutschen Veteranen des Afghanistankrieges, die ihre ganz eigene Beziehung zur Mohnblume entwickelt haben, die blaue Blume der Versöhnung überhaupt als Symbol ihrer Kriegserinnerung akzeptieren? Und vor allem: wie werden die Briten auf diese Herausforderung reagieren?

Das zweite Beispiel ist weniger kurios. Es spottet vielmehr allen Bemühungen der Wissenschaft und der Fachpresse, Bilder als historische Quelle Ernst zu nehmen. Die Süddeutsche Zeitung hat kürzlich in ihrem Regionalteil eine Serie „Der Krieg daheim“ aufgelegt, welche die Auswirkungen des Weltkrieges auf die bayerische Landeshauptstadt beschreibt. Das Logo zur Serie zeigt die Silhouetten von vier marschierenden Soldaten, umrandet von einem Feldpoststempel, auf dem die Kennungen „München“ und „1914“ abgebildet sind. Nimmt man das Motiv näher in den Blick, so stellt sich bald ein déja-vu-Erlebnis ein. Tatsächlich zeigt das Bild nämlich britische Soldaten, die – wäre das Motiv größer – auch für den Laien an den charakteristischen Formen des Brodie-Tellerhelms und des Lee-Enfield Gewehrs zu erkennen wären. Konkret handelt es sich um das Foto des Fotografen Ernest Brooks mit dem Titel „Troops moving up at eventide“, das Soldaten eines Yorkshire-Regiments im Ypern-Bogen im Jahr 1917 zeigt. Soweit so gut. Kann ja mal passieren: Da hat sich eben der Grafikvolontär im Internet umgesehen und ein für ein solches Logo geeignetes Motiv entdeckt. Ein Grafiker ist eben kein Historiker.

Tatsächlich ist aber nicht Fahrlässigkeit sondern Vorsatz der Vorwurf. Denn der zweite Blick offenbart nun, dass sich irgendjemand tatsächlich die Mühe gemacht hat, auf die Helme der vier britischen Soldaten fein säuberlich die Spitzen deutscher Pickelhaube zu retuschieren. Die eigene Unfähigkeit zur qualifizierten Bildrecherche wird hier also mit technischen Mitteln bewusst camoufliert. Damit ist die Linie zur Bilderfälschung eindeutig überschritten. Soviel Kaltschnäuzigkeit beim Umgang mit historischen Quellen hat man selten erlebt. Ist diese redaktionelle Praxis, die im Übrigen auch einen Verstoß gegen den Kodex des Branchenverbands der Bildanbieter (BVPA) darstellt, deshalb niedrig zu hängen, weil das Motiv nur klein ist? Wohl kaum. Für die Süddeutsche Zeitung ist die Bildmanipulation doppelt fragwürdig, weil der Verlag selbst über ein international renommiertes Bildarchiv verfügt und die hauseigene Edition momentan einen Bildband mit dem Titel „Menschen im Krieg“ vermarktet.

Bei aller Kritikwürdigkeit des Falls gibt es doch eine militärhistorische Pointe dabei: die vom namenlosen süddeutschen Kleinmeister geschaffene neue Helmform des „Pickel-Brodies“ wäre ganz sicher die sinnloseste Innovation des Großen Krieges geworden. Sie verbindet die ergonomischen und protektiven Nachteile beider Helme. Doch selbst diese Pointe ist dem Münchner Mogler wohl entgangen.

Ernest Brooks, Troops moving up at eventide (Foto 1917, NLS, http://digital.nls.uk/74546492)
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