Lars Beißwenger
Miszelle
Veröffentlicht am: 
25. August 2014

Nördlich der schottischen Stadt Stirling ragt ein aus der Ferne gut sichtbarer Turm vom höchsten Punkt des Basaltberges Abbey Craig empor. Von Stirling Castle aus betrachtet, erstreckt sich dahinter die Ochils genannte Hügelkette, die dem Betrachter eine gewisse Ahnung der rauen und wilden Landschaft der Highlands vermittelt. Von der Spitze dieses 67 Meter hohen Turms, der im sogenannten schottischen Baronialstil gehalten ist, kann man sieben historische Schlachtfelder überblicken: Im 9. Jahrhundert begründete Kenneth MacAlpin durch seinen Sieg bei Cambuskenneth das schottische Königreich. 1297 schlug William Wallace die Engländer bei Stirling Bridge. Ein Jahr darauf unterlag er bei Falkirk. 1314 schlug Robert the Bruce die Engländer bei Bannockburn. 1488 fiel James III. bei Sauchieburn im Kampf gegen Aufständische. 1715 fochten bei Sheriffmuir Jakobiten ohne durchschlagenden Erfolg gegen königstreue Truppen, die von dem Duke of Argyll geführt wurden. 1746 errangen die Jakobiten unter Charles Edward Stuart bei Falkirk einen Sieg gegen die königlichen Truppen, der kurzzeitig die Krone in Bedrängnis brachte. Der Umkreis des Monuments darf daher als militärischer Schicksalsort Schottlands betrachtet werden.1

Etwa 100 000 Besucher strömen jährlich zu diesem Turm, dem „National Wallace Monument“, das dem schottischen Freiheitskämpfer William Wallace gewidmet ist.2 Über sein Leben ist ausgesprochen wenig bekannt. Nicht einmal der Geburtsort des Niederadeligen und späteren „Guardian of Scotland“ (Regent) gilt als gesichert, der entweder in Elderslie (Paisley) oder Ellerslie (Ayrshire) das Licht der Welt erblickt haben soll. Sein Leben endete 1305, als er von der englischen Krone als Rebell verurteilt in London hingerichtet wurde. Seine Karriere war recht kurz gewesen. Im Mai 1297 trat er als einer von zwei Anführern einer schottischen Revolute gegen die englische Herrschaft erstmals politisch in Erscheinung. Er tötete den Sheriff von Lanark und verbündete sich mit Aufständischen aus dem Norden, die von Andrew Murray (de Moray) geführt wurden. Am 11. September 1297 hatten die schottischen Truppen nördlich von Stirling Bridge am Fuße des Abbey Craig Position bezogen und erwarteten eine vierfach überlegene englische Streitmacht. Da diese die Brücke überqueren musste, konnten sie sich zur Schlacht nicht voll entfalten und ihre Überlegenheit nicht ausspielen. Die mittelalterliche Version einer Phalanx, die sogenannte Schiltron-Formation der schottischen Infanterie erwies sich gegen die englische Kavallerie als ausgesprochen effektiv. Ein Jahr später bei Falkirk konnte diese taktische Variante jedoch die erneut zahlenmäßig unterlegenen Schotten nicht vor einer Niederlage bewahren. Die Funktion als „Guardian of Scotland“, die Wallace nach dem Sieg bei Stirling Bridge übertragen worden war, gab er nach der Niederlage von Falkirk auf. 1299 bis etwa 1303 engagierte sich Wallace im europäischen Ausland für die schottische Sache. 1304 stand er wieder mit dem aktiven Widerstand gegen die Engländer in Verbindung als er im September von den Engländern gefangen genommen und in Westminster Hall vor Gericht gestellt wurde.Schließlich wurde Wallace, der sich vehement für die schottische Unabhängigkeit eingesetzt hatte, am 23. August 1305 als „Landesverräter“ in London hingerichtet. Neben dem Besucherparkplatz am Fuße des Abbey Craig steht heute eine Wallace-Statue, die der Erscheinung Mel Gibsons als William Wallace nachempfunden ist, der mit „Braveheart“ (1995) dem schottischen Nationalhelden ein eindrucksvolles, historisch jedoch auch sehr ungenaues Denkmal gesetzt hat.3

Der Tod des schottischen Unabhängigkeitskämpfers William Wallace war jedoch nicht das Ende des Ringens der Schotten um ihre Freiheit. Der Kampf wurde 1314 in der Schlacht von Bannockburn siegreich durch Robert the Bruce zu Ende geführt. Daher wird im „National Wallace Monument“ nicht nur William Wallace, sondern auch Robert the Bruce gedacht, der ihm dort weitgehend gleichberechtigt zur Seite gestellt wird. Ebenso findet das Gedenken an die Deklaration von Arboath ihren Platz im Denkmal, mit der die Schotten 1320 ihre Unabhängigkeit von England erklärten.

Um die Figur William Wallace war recht bald ein regelrechter Kult entstanden, der sich sowohl als Teil der Folklore als auch als Teil der Hochkultur über die Jahrhunderte erhielt und im 19. Jahrhundert in der Form des Denkmals eine neue Ausdrucksform hinzugewann. Von Beginn bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts waren bereits über 20 Denkmäler zu Ehren von William Wallace entstanden. Als erstes ließ der Earl of Buchan bei Dryburgh im Jahr 1814 aus privaten Mitteln ein solches errichten. Der für lange Zeit eindrucksvollste Bau sollte jedoch der Wallace-Tour bei Ayr sein, der 1833 fertiggestellt wurde.4

Das 19. Jahrhundert war jedoch nicht nur das Jahrhundert der Denkmäler, sondern auch das des nationalen Gedankens, der in weiten Teilen Europas seinen Niederschlag fand. Für nationalbewusste Schotten stellte in der historischen Rückschau spätestens die Deklaration von Arboath die Geburtsstunde der schottischen Nation dar. Doch was war Schottland im 19. Jahrhundert?

1603 kamen die schottischen Könige durch eine Personalunion auf den englischen Thron, doch verlegten sie ihre Hauptstadt von Edinburgh nach London. Schottlands Hof war verwaist. 1707 kam es dann zur Realunion zwischen Schottland und England. Damit hatte Schottland aufgehört als eigenständiger Staat zu existieren.5 Ferner verlor das schottische Königshaus der Stuarts auch die Krone an das Haus Hannover. Die Versuche der Stuarts die Krone zurückzugewinnen, scheiterten endgültig mit der Niederlage Charles Edward Stuarts, genannt „Bonnie Prince Charlie“, in der Schlacht von Culloden 1746. Die Highlander, die zahlenmäßig deutlich unterlegen gewesen waren, waren zusätzlich durch Nachschubschwierigkeiten und ihre unkoordinierte Führung völlig chancenlos. Der Duke of Cumberland, der jüngere Sohn des Königs, erwarb sich durch sein hartes Durchgreifen gegen die Aufständischen in Schottland im Anschluss an die Schlacht den Beinamen „The Butcher Cumberland“.6

Im 18. Jahrhundert wuchsen Schottland und England ökonomisch, politisch und kulturell immer stärker zusammen. Schotten nutzten in zunehmendem Maße und mit großem Erfolg die Möglichkeiten, die sich im britischen Empire boten. Das kleine Schottland machte das britische Empire zu einem guten Teil zu einem schottischen Empire und man betrachtete sich in Schottland vielerorts mit Stolz als britisch.

Im 19. Jahrhundert kam es schließlich auch in England zu einer immer stärkeren Anerkennung der typisch schottischen Identität. Die früher als barbarisch und wild betrachteten Highlands kamen spätestens mit Queen Victoria in Mode, die sich dort mit Balmoral einen Urlaubssitz erwarb. Als Wegbereiter dieser Mode muss man zweifellos Sir Walter Scott erwähnen, der sich um die Herausbildung eines romantischen Schottlandbildes in höchstem Maße verdient gemacht hatte und der neben Robert Burns auch zu den wirkmächtigsten Förderern einer romantisierten schottischen Nationalidentität gehörte. Diese schottische Nationalidentität zielte nicht wie in anderen Teilen Europas auf die Schaffung eines eigenständigen Nationalstaates. Vielmehr handelte sich um eine frühe Form eines zivilgesellschaftlichen Nationalismus. Mit dem National Wallace Monument wollte man keinen schottischen Separatismus befeuern, sondern die schottische Identität als eine Bereicherung für die britische Sache feiern. Selbst als in den 1880er Jahren durch die Frage der irischen Home Rule auch in Schottland derartige Überlegungen zur Sprache kamen, wurde das Konzept der Home Rule doch immer als Teil einer gesamtbritischen Konzeption betrachtet.7

1861, am Jahrestag der Schlacht von Bannockburn, in der Robert the Bruce den entscheidenden Sieg im schottischen Unabhängigkeitskampf gegen England errungen hatte, legte eine patriotische Bewegung um den Novelisten James Grant auf der Spitze des Abbey Craig unweit von Stirling Bridge, wo Wallace 1297 militärisch gegen die Engländer gesiegt hatte, den Grundstein für das Denkmal. Stirling war nicht zuletzt auch die Kompromisslösung für das Nationalmonument zwischen Glasgow und Edinburgh. Berichte geben die Zahl der Schaulustigen mit bis zu 80 000 Personen an. An einer Prozession zum Gipfel mit zahlreichen Reliquien schottischen Nationalstolzes war als Vertreter der Familie Wallace auch Lt.-Gen. Sir James Maxwell Wallace zugegen, der u.a. an der Schlacht von Waterloo 1815 teilnahm.

Doch 1863 geriet das Bauprojekt „Wallace Monument“ in eine Krise, da die rein auf Spenden basierende Finanzierung nicht auszureichen schien und die Baukosten die Kalkulation überstiegen, woraufhin dem zuerst engagierten Bauunternehmen gekündigt wurde. Zwei Jahre später verkündete „The Times“ im Dezember 1865 das Scheitern des Projektes. Auch die in Edinburgh herausgegebene führende schottische Tageszeitung „The Scotsman“ berichtete zunehmend kritischer. Schließlich retteten Spendengelder der Glasgower Eliten, aber auch Angehöriger anderer Glasgower Schichten die Baufinanzierung des nationalen Wallace Denkmals. Am Ende beliefen sich die Gesamtkosten auf rund 15 000 Pfund. Am 11. Dezember 1869 wurde das Denkmal eingeweiht und der Stadt Stirling übergeben.8

Im Inneren des Turmes, dessen Eingang von Wappen und Wahlspruch der Familie Wallace gekrönt ist, befinden sich Darstellungen der Größe und des Ruhmes Schottlands. Ein großes Gemälde von Sir William Allan zeigt beispielsweise die Schlacht von Bannockburn. In den oberen Etagen fällt das Licht durch bemalte Fenster, die das königliche Wappen, den schottischen Löwen, das schottische Wappen und das Wappen der Stadt Stirling zeigen und den Räumlichkeiten einen geradezu sakralen Charakter verleihen. In der zweiten Etage, der „Hall of Heroes“, sind Büsten schottischer Persönlichkeiten versammelt. Die Spanne reicht dabei von Robert the Bruce über Adam Smith und James Watt bis hin zu David Livingstone und dem mehrfachen britischen Premierminister William E. Gladstone. Das historische Schottland geht in das britische Schottland über. Die schottische Nation feiert sich hier als ein Teil der britischen Gemeinschaft. Die Figur William Wallace war schon lange vor dem 19. Jahrhundert zu einer reinen Projektionsfläche geworden, die für vielfältigste politische Anliegen instrumentalisiert wurde. Er diente gleichermaßen den Anhängern der Union, sowie denen der Home Rule und sogar auch iro-schottischen Sozialisten als Bezugspunkt ihrer Agitation. Sein Porträt wurde immer wieder bei zahlreichen Demonstrationen vor den Zügen hergetragen, in unzähligen Reden griffen Redner unterschiedlichster politischer Couleur auf das Beispiel Wallace zurück, um ihren Anliegen historische Legitimation zu verleihen.9 Die kommenden Jahre werden vielleicht einen erneuten Wandel in der Wahrnehmung von William Wallace mit sich bringen, je nachdem wie die Wege von Schottland und England im Anschluss an das Referendum Mitte September 2014 verlaufen werden.

  • 1. Power, William: Wallace Monument. The Official Guide, Stirling undatiert.
  • 2. McInnes, Ranald: The National Wallace Monument. The Story of the National Wallace Monument, Edinburgh 1994, S. 3.
  • 3. Es gibt eine große Zahl an Wallace Biographien. Durch den Film wurde das öffentliche Interesse jedoch noch einmal deutlich befeuert. Im gleichen Jahr wie der Film erschien beispielsweise: Mackayy, James: William Wallace. Braveheart; Edinburgh und London 1995.
  • 4. McInnes: National Wallace Monument, S. 19f.
  • 5. Ebd., S. 5.
  • 6. Siehe dazu: McLynn, Frank: Bonnie Prince Charlie. Charles Edward Stuart; London 2003. Oates, Jonathan: Sweet William or the Butcher? The Duke of Cumberland and the '45, Barnsley 2008.
  • 7. Kidd, Colin: Race, Empire, and the Limits of Nineteenth-Century Scottish Nationhood; in: The Historical Journal, Vol. 46,4, 2003, S. 877 – 892. Morton, Graeme: Identity within the Union State, 1800 – 1900; in: Devine, T. u. Jenny Wormald (Hrsg.): Modern Scottish History; Oxford UP 2012, S. 474 – 490.
  • 8. McInnes: National Wallace Monument, S. 30ff.
  • 9. Morton, Graeme: William Wallace. Man and Myth, Stroud 2001.
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