Jüdische Soldaten im kollektiven Gedächtnis Zentraleuropas - Die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg aus jüdischer Perspektive

Datum: 
Montag, 23. Mai 2016 bis Mittwoch, 25. Mai 2016
Ort: 
Graz
Deadline: 
Donnerstag, 31. Dezember 2015

Der Erste Weltkrieg stellt eine weitreichende Zäsur innerhalb der jüdischen Geschichte Zentraleuropas dar. Die verheerenden Kriegsereignisse zerstörten nicht nur die traditionellen Lebenswelten und Gesellschaftsstrukturen des osteuropäischen Judentums, sondern durch die Folgen des Krieges, die geopolitischen Veränderungen sowie durch eine Radikalisierung des Antisemitismus wurden eingeübte Identitätsnarrative der jüdischen Bevölkerung Zentraleuropas fundamental in Frage gestellt.

In vielen der neu entstandenen Staaten wurde im Zuge nationaler Selbstfindungsprozesse die Position der Jüdinnen und Juden innerhalb der Gesellschaft sowie ihre Beziehung zum Staat ungewiss. Diese teils gewaltsamen Prozesse evozierten innerjüdische wie gesamtgesellschaftliche Debatten, in denen Fragen jüdischer Loyalitäten zu den alten und neuen Staaten, resp. Gesellschaften ebenso wie jüdische Identitätsentwürfe unter den neuen Anforderungen verhandelt wurden. Ein zentrales und umstrittenes Diskussionsfeld war dabei der Kriegsdienst der jüdischen Soldaten, allgemein die Stellung der jüdischen Bevölkerung zum und ihre Haltung und Tätigkeiten im Krieg. So sahen viele Jüdinnen und Juden in Zentraleuropa und darüber hinaus in ihrem uneingeschränkten Kriegsdienst während des Weltkrieges die Möglichkeit einer Beweisführung ihres Patriotismus und ihrer Loyalität gegenüber den Heimatländern. Allein in den Armeen Rußlands, Deutschlands und Österreich-Ungarns kämpften rund 900.000 jüdische Soldaten, von denen circa 100.000 auf den unterschiedlichen Kriegsschauplätzen fielen.

Ihr Tod verlangte ebenso wie der von hunderttausenden nichtjüdischen, christlichen und muslimischen Gefallenen, eine politische Rechtfertigung und Sinnstiftung, während und nach dem Krieg. Dies geschah in Form von medialen Diskursen, in öffentlichen und privaten Erinnerungspraktiken und Denkmalsetzungen sowie in Synagogenpredigten. Für Zentraleuropa und die jüdische Bevölkerung ist von besonderer Bedeutung, dass Kriegserinnerung, als öffentlicher und politischer Akt der Sinnstiftung, stets mit der Rechtfertigung der Existenz der politischen Einheit, des Staates, der Nation, für die gekämpft und gestorben wurde, verbunden war. 

Die Konferenz "Jüdische Soldaten im kollektiven Gedächtnis Zentraleuropas" rückt die Debatten um den jüdischen Kriegsdienst in all seinen unterschiedlichen Formen (Soldaten und Kriegsgefangene, Flüchtlingsfürsorge und Zwangs- bzw. Fremdarbeiter, Wohlfahrt, ...) sowie die Kriegserinnerung in ihren vielfältigen Ausprägungen während und nach dem Ersten Weltkrieg ins Zentrum. Unter Zentraleuropa werden dabei das Deutsche Reich, die Habsburgermonarchie und die westlichen Gebiete des Russländischen Reiches sowie die in diesem Gebiet nach 1918 entstandenen neuen Staaten verstanden.

Im Rahmen der Tagung sollen vorrangig Fragen jüdischer Loyalitäten und jüdischen Selbstverständnisses im Kontext des Krieges ebenso wie unterschiedlichste Debatten um die Verortung der jüdischen Bevölkerung innerhalb der jeweiligen Staaten während und nach dem Krieg behandelt werden. Von besonderem Interesse ist hierbei, wie diese Debatten sich angesichts der neuen politischen und nationalen Realitäten Zentraleuropas nach 1918 wandelten. 

Von besonderem Interesse sind dabei Beiträge zu nachfolgenden Themen:

-   Jüdische Erinnerungsdiskurse mit ihren politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und religiösen Rückbezügen

-   AkteureInnen jüdischer Kriegserinnerung

-   Erinnerungsmilieus

-   Jüdische Veteranenorganisationen

-   Medien der Erinnerung: Erinnerungsschriften, Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, Filme, Kunstwerke, usw.

-   Denkmalsetzungen, Heldenfriedhöfe

-   Jüdische Kriegserinnerung in der Literatur

-   Wechselbeziehungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Erinnerungsdiskursen und -Milieus

-   Antisemitismus

-   Transnationale Aspekte jüdischer Kriegserinnerung

-   Weibliche Kriegserinnerungen

-   Bildsprache: Fotografien, Postkarten

Die Tagung richtet sich an WissenschafterInnen unterschiedlichster kultur- und geisteswissenschaftlicher Disziplinen.

Veranstaltungsort:  Centrum für Jüdische Studien der Karl-Franzens-Universität Graz, Heinrichstraße 22/III, 8010 Graz

Die Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch.

Die Organisatoren bemühen sich um eine ausreichende Tagungsfinanzierung, sodass Reise- und Aufenthaltskosten übernommen werden können.

Eine Tagungspublikation (peer review) ist geplant (deutsch und englisch).

Bei Interesse senden Sie bitte einen Abstract (max. 500 Wörter) und einen kurzen CV an  Gerald Lamprecht (gerald.lamprecht@uni-graz.at)

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Kontakt:

Assoz. Prof. Mag. Dr.phil. Gerald Lamprecht

Centrum für Jüdische Studien

Karl-Franzens-Universität Graz

Heinrichstraße 22/III

8010 Graz

gerald.lamprecht@uni-graz.at