Symbolgeschichte der militärischen Waffe von 1700 bis 1945
Christian Th. Müller
Buchbesprechung
Veröffentlicht am: 
14. Dezember 2015

Im Hinblick auf ihre Technik und ihren Einsatz im Gefecht sind Waffen schon lange wesentlicher Gegenstand der traditionellen „Kriegswissenschaften“ sowie der heereskundlichen und militärgeschichtlichen Forschung. Ganz anders verhält es sich indes mit ihrer symbolischen Rolle. Abgesehen vom Schwert, das als christliches und als Herrschaftssymbol bereits näher analysiert wurde, gab es jenseits der stereotypen Charakterisierung als „Phallussymbol“ keine wirklich fundierten Erkenntnisse über die symbolische Aufladung von Waffen. (14)

Urte Evert setzt mit ihrer bei Ruth-E. Mohrmann an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster entstandenen Dissertation an dieser Leerstelle an und legt die erste systematische Studie zur symbolischen Bedeutung der Waffe im deutschsprachigen Raum während der Neuzeit vor. Der Focus ihrer Arbeit liegt auf Schusswaffen im Zeitraum 1700 bis 1945. Erklärtes Ziel ist es, „darzustellen, welche symbolischen Funktionen der militärischen Waffe zugeordnet wurden, welche Einflussfaktoren für bestimmte Ausprägungen und Veränderungen sorgten, inwiefern die Symbolisierungen selbst zu Einflussfaktoren auf kultureller sowie auf gesamtgesellschaftlicher Ebene wurden, und vor allem, welche Gründe es für die Menschen gab, diese Symbolisierungen vorzunehmen.“ (11) Die Hauptquellenbasis bilden etwa 500 meist deutschsprachige Soldatenlieder, die Waffensymbolisierungen enthalten und aus 67 Liedersammlungen ausgewählt wurden. Ergänzend wurden Bildquellen, militärisches Schriftgut sowie Selbstzeugnisse von Soldaten herangezogen. Der Focus auf die Soldatenlieder bietet dabei zwei wesentliche Vorteile. Zum einen vermag Everts ethnologisch angelegte Arbeit so praktisch direkt an die volkskundliche Soldaten- und Volksliedforschung des 19. und frühen 20. Jahrhunderts anzuknüpfen. Zum anderen sind Lieder als Quelle relativ homogen und nicht an epochenspezifische Technologien gebunden. So wird dann auch der epochenübergreifende Vergleich vereinfacht.

Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel. Nach der Einleitung erörtert die Autorin zunächst Begriff und Zweck der Waffe, um dann in Hinführung auf die folgenden vier Kapitel ihre symbolische Rolle an prägnanten Beispielen aus der Alltagssprache zu illustrieren. Die eigentliche Analyse erstreckt sich auf vier Ebenen, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Das mit über einhundert Seiten längste Kapitel untersucht zunächst die facettenreiche soziale Symbolik verschiedener Waffen. So hebt Evert hervor, dass Blankwaffen um 1700 auch außerhalb des Militärs als Statussymbol galten, während die Bajonettflinte Erkennungsmerkmal des Soldatenstandes und letztlich „Sinnbild sozialer Niedrigstellung“ gewesen sei. Das kam auch in einer Reihe von Soldatenliedern deutlich zum Ausdruck. Stärker ausgeprägt war jedoch die Tendenz den „Soldatenstand“ als „Wehrstand“ quasi zu nobilitieren und – vor allem im 19. Jahrhundert – die Rolle der Kriegswaffe als Ehrsymbol zu betonen. (58-64)

Die mit je etwa 50 Seiten deutlich kürzeren Kapitel 4 bis 6 widmen sich der Nationalsymbolik, der religiösen Symbolik und schließlich der Körpersymbolik. Die Nationalsymbolik reicht dabei vom Waffenarsenal als Verkörperung der „verdinglichten Stärke“ (155) der eigenen Nation über die Erhebung des Zündnadelgewehrs zur „gefeierten Nationalwaffe“ (153) bis hin zur schwülstigen Überhöhung des eigenen Geräts als „geheiligt-vaterländisch’ Schwert“. (179)

Letztgenannte Formulierung zeigt auch, wie fließend die einzelnen Analysebereiche ineinander übergehen, bildeten doch Gott, Deutschsein und Waffenstärke gerade bei den Romantikern des 19. Jahrhunderts eine Einheit. (217) Die eigenen Waffen wurden als Instrumente göttlicher Rache, der Kampf mit ihnen als „Gottesdienst“ oder „heiliger Kreuzzug“ überhöht. (219, 236, 238)

Besonders aufschlussreich für die Rolle des Individuums sowie das Verhältnis von Mensch und Technik sind Everts Ausführungen zur Körpersymbolik. Der Soldat kann dabei selbst als Waffe – „der alte Haudegen“ (269) – oder wie im Ersten Weltkrieg als „Menschenmaterial“ aus „elenden Schieß- und Grüßautomaten“ – so Kurt Tucholsky in „Drei Minuten Gehör“ – gesehen werden (274), um schließlich – etwa in Gestalt einer Panzerbesatzung – gleichsam Teil der Maschinerie zu werden. Andererseits kann die Waffe umgekehrt als Körperteil des Soldaten – oft als Phallus oder verlängerter Arm – gedeutet werden. Schließlich konnte die Waffe als lebendiges Wesen imaginiert werden, das „bellt“, „schweigt“ und Feuer „speit“ oder dem Soldaten als „Eisenbraut“ in der Gefahr „treue Kameradin“ und seelische Stütze ist. (290, 299)

Angesichts der mit dem Gebrauch von Kriegswaffen verbundenen Destruktivität und traumatischen Erfahrungen arbeitet Evert in ihrem Fazit auch die wohl wichtigste Funktion deren symbolischer Aufladung klar heraus: „Als tägliches Arbeitsgerät des Soldaten musste die Waffe auch im 17. bis 20. Jahrhundert mit einem möglichst positiven Image belegt werden, damit der soldatische Mensch überhaupt mit ihr umgehen wollte und einsetzbar blieb.“ (313)

Insgesamt hat Urte Evert eine ebenso bildhaft geschriebene wie reich illustrierte Studie vorgelegt. Deren Hauptverdienst besteht in der systematischen Sammlung und Analyse der unterschiedlichen Waffensymbolisierungen, für die das Soldatenlied eine ideale Quelle darstellt. Grundstürzend neue Erkenntnisse bringt die Arbeit indes nicht, bestätigt die Systematik doch im wesentlichen das, was man bislang schon über die symbolische Aufladung von Waffen zu wissen glaubte.

An dieser Stelle ist jedoch ein nicht zu unterschätzender Nebeneffekt zu erwähnen. Everts Arbeit ist ein wahre kulturhistorische Fundgrube, in welcher dem Leser längst vergessene Soldatenlieder, Redewendungen und sprachliche Bilder wieder ins Gedächtnis gebracht und erläutert werden.

Analyse und Argumentation erweisen sich dabei aber nicht in jedem Fall als treffsicher und konsistent. So betont Evert als Primärfunktion der Waffe allein das Töten des Gegners (36-39), was dann aber in eigentümlicher Spannung zu ihrer weitgehend unkritischen Exegese der Thesen von Jürgen Luh [1] steht, wonach die Haupteffekte der glattläufigen Steinschlossgewehre des 18. Jahrhunderts „Knall und Dampf“ gewesen seien. (59) Fehlerhafte Prämissen führen dabei zu zwar in sich schlüssigen, aber gleichwohl abwegigen Kausalketten wie der folgenden: ‚Die Verweigerung treffsicherer Büchsen, wie sie technisch bereits möglich waren und den adligen Kavalleristen zur Verfügung standen, für einfache Soldaten während des gesamten 18. Jahrhunderts lag in dem Wunsch begründet, „die Gesellschaftsordnung nicht zu gefährden.“[2 - CTM] Diese auch sozialsymbolisch wertvollen Waffen sollten dem Adel vorbehalten bleiben.’ (59) Allerdings stammten die Kavalleristen des 18. Jahrhunderts, abgesehen von den Offizieren, zumeist weder aus dem Adel noch führten sie die gezogene Büchse. Die Büchse war stattdessen die Spezialwaffe der sich aus – ebenfalls in der Regel nichtadligen – Forstleuten rekrutierenden Jägertruppe.

Auch die insgesamt sehr gelungene Kombination von Bild und Text weist zumindest punktuell ihre Tücken auf. So verweisen die Ausführungen über die „legendäre“ 8,8-cm-Flak 18/36/37 auf ‚ein undatiertes Gruppenbild mit „Acht-Acht“’ (Abb. 21). Statt der „Acht-Acht“ mit ihrer charakteristischen Kreuzlafette zeigt das Bild dann jedoch eine leichte Feldhaubitze 18 mit Schutzschild und Spreizlafette. (164)

Gerade im Hinblick auf Everts Anliegen, „den Umgang mit militärischen Waffen reflektierter zu gestalten“ (318), wäre schließlich am Ende der Arbeit noch eine Zusammenfassung der auf den einzelnen Analyseebenen gewonnenen Erkenntnisse nebst Textbeispielen in quasi tabellarischer Form als Handreichung sinnvoll gewesen.

Diese Kritikpunkte tun jedoch der Tatsache, dass es sich um ein kurzweilig zu lesendes sowie in Inhalt und Form weitgehend überzeugendes Buch handelt, keinen Abbruch.

[1] Jürgen Luh, Kriegskunst in Europa. 1650-1800, Köln u.a. 2004.

[2] Ebenda, S. 174.

Urte Evert, Die Eisenbraut. Symbolgeschichte der militärischen Waffe von 1700 bis 1945, Waxmann: Münster 2015 (=Beiträge zur Volkskultur in Nordwestdeutschland, Band 125), 380 S., brosch. Abb., ISBN 978-3-8309-3217-8, Preis € 44,90.