Siebter Teil der Reihe "Forschung zum Kalten Krieg - eine Bestandsaufnahme"
Christoph Nübel
Interview
Veröffentlicht am: 
15. August 2016
Schwerpunktherausgeber: 

Der Kalte Krieg war ein globaler Konflikt. So überrascht es kaum, dass überall auf der Welt zum Thema gearbeitet wird. Die Interviewreihe Forschungen zum Kalten Krieg - eine Bestandsaufnahme misst die Genese der Forschung gestern und heute ebenso aus, wie sie nach zukünftigen Entwicklungen fragt. Die siebenteilige Reihe ist eine Kooperation des Berliner Kollegs Kalter Krieg und des Portals Militärgeschichte. Sie wurde von Dr. Christoph Nübel (Humboldt-Universität zu Berlin) und Dr. Klaas Voß (Hamburger Institut für Sozialforschung) durchgeführt. Im letzten Teil der Reihe: Dr. Frank Reichherzer (Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam, Deutschland)

Abschnitt I: Zur Herkunft und Entwicklung der Kalte-Kriegs-Forschung

F: "Erleben wir gerade einen neuen Kalten Krieg?" - Diese Frage ist in den letzten Monaten in der Presse häufig gestellt worden. Würden Sie sie bejahen?

A: Nein, das würde ich nicht. In der Tagespresse ist der Begriff "Kalter Krieg" zu einer journalistischen Redewendung geworden; zu einer Floskel, die Spannungen in den internationalen Beziehungen markieren will und Aufmerksamkeit generieren soll. Die Ordnungsmuster radikaler Binarität und planetarische Ausstrahlung - für die der Terminus "Kalter Krieg" in diesem Kontext steht - kann ich zur Zeit nirgendwo in den immer wieder neu ausgerufenen "Kalten Kriegen" erkennen. Im Gegenteil! Die Verwendung des Begriffs zeigt doch eher die Sehnsucht nach Ordnung und der Rückkehr in eine heute als klar und rational empfundene Vergangenheit - die paradoxer Weise mit ihren atomaren und anderen Zerstörungspotenzialen sehr gefährlich war. Ich sehe in der "Kalte-Kriegs-Folklore" daher ein Symptom für jene Sprachlosigkeit und jene diffusen Ängste, die sich in der Konfrontation mit unserer scheinbar immer komplexeren Gegenwart ergeben.

F: Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Trends und Entwicklungen in der Forschung zum Kalten Krieg seit 1990? Welche neuen Bereiche konnten in den letzten 25 Jahren erschlossen werden?

A: Offensichtlich ist die thematische Verschiebung: weg von Themen wie Beginn, Ursachen und Verantwortlichkeiten über die 1970er und 1980er Jahren hin zum vermeintlichen Ende des "Kalten Krieges". Auch die Differenzierung durch umfassenderen Archivzugang ist hier zu nennen. Darüber hinaus möchte ich auf zwei Tendenzen aufmerksam machen, die - wie ich denke - besondere Beachtung verdienen. Die erste lässt sich als geographische Erweiterung beschreiben. Sie ist in den Zusammenhang mit der Debatte über die "Provinzialisierung Europas" und der nordatlantischen Welt zu setzten. Der Fokus hat sich mit dieser Diskussion immens geweitet. Damit meine ich nicht so sehr, dass nun andere Weltregionen, in die der Kalte Krieg einbrach, plötzlich "entdeckt" und "einbezogen" worden sind. Das, worauf es mir hierbei ankommt, ist vielmehr, dass Forschungen mit der Expertise für andere Weltregionen die Perspektive in den letzten Jahren erweitert haben. Damit treten neben das Bild des einen "Kalten Krieges" nun auch verschiedene kleine und große "Kalte Kriege". So rücken Verbindungen, Auswirkungen, Rückkoppelungen und Transformationen zwischen diesen "Kalten Kriegen" in das Zentrum des Interesses. Diese Wechselwirkungen sind natürlich zu verschieden Zeiten und Orten unterschiedlich ausgeprägt oder vielleicht auch gar nicht da. Aber: Mit einem auf diese Prozesse, Konstellationen und Interaktionen gerichteten Forschungsinteresse lassen sich von der globalen bis zur lokalen Ebene Verknüpfungen und Beeinflussungen aufzeigen. Gleichzeitig können - und das macht der Ansatz auch deutlich - unabhängige Entwicklungen im Raster des "Kalten Krieges" und Grenzen des Deutungsmusters neben den Anverwandlungen deutlich gemacht werden. Auf einen zweiten Trend weisen das großgeschriebe "K" und die Gänsefüßchen hin. 1991 sprach Mary Kaldor vom "Kalten Krieg" als "Imaginary War". Konstruktivistische Ansätze und ideengeschichtliche Perspektiven bereichern - um es kurz zu machen - in den letzten Jahren die die Forschung ungemein.

Abschnitt II: Der Status Quo

F: Wie sehr wird die aktuelle Forschung zum Kalten Krieg von den jüngeren "Turns" in den Geisteswissenschaften beeinflusst? Gibt es eine Kulturalisierung der Cold War Studies? Welche Rolle spielen Begriffe wie "Raum", "Emotionen", "Transnationalismus", "Aushandlungsprozesse" usw.?

A: Es wäre sicher sehr problematisch, wenn sich Geschichtswissenschaft, die das vielschichtige Phänomen des sogenannten Kalten Krieges historisieren möchte, sich der Instrumentarien versagt, die der Werkzeugkoffer des Historikers bietet. Lässt man die Aufmerksamkeitsökonomie und forschungspolitische Positionierung einmal beiseite, die hinter der Ausrufung eines neuen Turns stecken, dann ist unser Werkzeugkoffer seit den 1990er Jahren unter dem Einfluss und in Auseinandersetzung mit kulturwissenschaftlichen Fragestellungen und Methoden sehr gut ergänzt worden. An der Erweiterung unseres Instrumentariums und dem Entdecken neuer "Sehepunkte" sollten wir auch unbedingt weiter arbeiten! Der Mehrwert kulturwissenschaftlicher Kategorien (oder aber auch der aus anderen Nachbardisziplinen), wie Sie einige aufgezählt haben, liegt im "Mehr" der Kategorien und im "Mehr" der Methoden und im "Mehr" der Kombinationsmöglichkeiten. Wir sollten daher Ansätze nicht künstlich in Opposition zueinander stellen. Wir sollten ganz pragmatisch vom Gegenstand und unseren Interessen ausgehen. Und wir sollten mit den vielen Möglichkeiten, die wir haben, forschen und schreiben. Das halte ich für viel sinnvoller und bei Weitem erkenntnisfördernder als ein "Entweder-Oder".

F: Wo liegen mit Blick auf Akteure und Weltregionen die inhaltlichen Schwerpunkte der aktuellen Forschung?

A: Quantitativ sind sicher nach wie vor die USA gefolgt von Europa und Asien die meisterforschten Räume. Die Beschäftigung mit Afrika nimmt erfreulicherweise beständig zu. Lateinamerika taucht auch vermehrt auf der Agenda auf. Aber wie ich bereits angedeutet habe, führt das Denken des "Kalten Krieges" als globales Bezugssystem dazu, dass die klare Kategorisierung von Räumen aufweicht; von Räumen, die vielleicht selbst im und durch den "Kalten Krieg" als Regionen konstruiert wurden. Um Missverständnissen vorzubeugen möchte ich an die globale Dimension anschließend noch sagen, dass "global" nicht bedeutet, dass jetzt eine Arbeit - sagen wir eine Geschichte der Friedensbewegung in Italien in den 1980er Jahren - nicht mehr möglich, möglich im Sinne von innovativ, wäre. Eine solche Arbeit sollte aber in der Anlage nicht isoliert stattfinden, sondern Schnittstellen nach "außen" haben und offen für die Auswirkungen von Beziehung sein - also für das, was man "cold war grid" nennen könnte. Der Band "Making Sense of the Americas" hat dies jüngst mal durchgespielt und ist aus der Perspektive Westeuropas den "flows" über den Nord- und Südatlantik gefolgt. [1] Mit der räumlichen Erweiterung der Perspektive werden auch mehr, viel mehr Akteure sichtbar, das ist klar. Damit meine ich nicht nur den sogenannten globalen Süden. Auch in den jeweiligen Ländern geraten die ganze Gesellschaft und nicht-staatliche Gruppen in den Blick. Wechselwirkungen zwischen Gesellschaften und dem Referenzrahmen des "Kalten Krieges" werden hierbei erforscht. Das gilt für Räume und Akteure, "go-betweens", die "im Dazwischen" agieren. Internationale Organisationen, Expertennetzwerke, Kontaktzonen usw. sind hier sicher sehr interessante Forschungsgegenstände.

F: Sie arbeiten am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) in Potsdam. Wo positioniert sich das ZMSBw in der Forschungslandschaft - vor allem im Vergleich mit den deutschen Universitäten, aber auch mit Blick auf die internationale Forschung zum Kalten Krieg? Gibt es Unterschiede oder Nachholbedarf?

A: Das ZMSBw ist Bestandteil der internationalen und auch deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft. Durch die Bündelung erfahrener Wissenschaftler, ihre Expertise und die eingespielten, auch internationalen Kooperationen ist in Potsdam ein wichtiges Gravitationszentrum und Diskussionsforum für die Geschichte des "Kalten Krieges" entstanden. Insbesondere ist der militärische Aspekt, die Untersuchung der beiden deutschen Armeen und der Geschichte ihrer Einbindung in die Gesellschaft und die jeweiligen Bündnissystemen das zentrale Arbeitsfeld im ZMSBw. Aktuell liegt ein Forschungsschwerpunkt im Bereich der deutsch-deutschen Militärgeschichte von 1970 bis 1990. Hier werden in intensiver Archivarbeit Grundlagen erarbeitet, um die Geschichte von Bundeswehr und Nationaler Volksarmee vergleichend, in ihren Verflechtungen und Bezügen zueinander sowie in ihrer Rolle in und zwischen den Blöcken behandeln zu können. Die Vielzahl an Studien, die hier gemeinsam mit Sozialwissenschaftlern aus dem Haus und dem Forschungsbereich Sicherheitspolitik des ZMSBw sowie in Zusammenarbeit mit anderen Forschungsinstituten, wie dem Zentrum für Zeithistorische Forschungen, bearbeitet werden, lässt sicherlich erneut wichtige Impulse für die Forschung erwarten. Neben der Kompetenz für das Militär als Untersuchungsgegenstand liegt eine weitere Stärke der Forschung des ZMSBw darin, dass die vermeintliche Wasserscheide von 1945/49 in der Forschung relativiert wird und hier einzigartige Kompetenzen liegen - sowohl darin Details zu erfassen als auch längerfristige Entwicklungen im Feld des Militärs deutlich zu machen. Das gilt ebenfalls für die jüngste Zeit. Im ZMSBw entstehen Arbeiten zu den Einsätzen der Bundeswehr nach 1991 und zum Militär in den "Wendejahren". Auch hier lassen sich sicherlich spannende Ergebnisse mit Blick auf das Phänomen "Kalter Krieg" erwarten.

Abschnitt III: Zukunftsperspektiven

F: Besteht im Kontext der jüngeren Forschungsentwicklung die Gefahr, dass der Kalte Krieg zunehmend zum "Catch-All-Term" wird, also als attraktives Label für alles benutzt wird, was zeithistorisch als relevant und interessant gilt?

A: Nein, ich denke nicht. Ich bin mir auch gar nicht so sicher, ob der "Kalte Krieg" als Zauberformel für das Antragswesen - oder inhaltlich argumentiert - als Folie dafür genutzt wird, Alles und Jedes zu erklären, was in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschah. Ein Beispiel: "Nach dem Boom", das von einer Forschergruppe um Anselm Doering Manteuffel und Lutz Raphael bearbeitete Projekt und auch die meisten daran weiter- und sich abarbeitenden Untersuchungen kommen meist ohne den "Kalten Krieg" aus. Der "Kalte Krieg" wird hier höchsten peripher thematisiert. Man kann sehr gut Geschichte des 20. Jahrhunderts betreiben ohne den "Kalten Krieg" ins Zentrum zu stellen. Vielleicht aber dann doch ein "Jein", wenn ich genauer über Ihre Frage nachdenke und wir beim "Catch-All-Term" ein wenig stehen bleiben. Hier legen Sie den Finger ganz gut in die Wunde. Der "Kalte Krieg" kann ein Container oder eine Chiffre für sehr vieles sein. Von dieser von mir begrüßten Pluralisierung gehen einerseits wichtige Impulse für die Forschung aus. Anderseits liegt hierin die Gefahr, dass der gemeinsame Gesprächsfaden abreißen kann. Reihen, Zeitschriften, Arbeitskreise, Tagungen usw. sind hier gefragt, um integrierend zu wirken. Sie müssen den Kern der Forschungen, die in ihrem Erkenntnisinteresse auf den "Kalten Krieg" zielen, zusammenhalten, aber auch Projekte, die das Themenfeld "Kalter Krieg" nur streifen, in die Diskussion mit einbinden. Die Gründung des Berliner Kollegs Kalter Krieg ist hierzu ein wichtiger Schritt.

F: Falls es eine "Kulturalisierung" der Cold War Studies gibt: Ist diese mit einem Verkümmern der klassischen Politik-, Diplomatie- und Militärgeschichte des Kalten Krieges verbunden? In welchen (neuen?) Formen ließen sich diese Forschungsfelder in Zukunft revitalisieren?

A: Sollen sie überhaupt revitalisiert werden - möchte ich Sie an eine der vorherigen Frage anknüpfend provozierend zurückfragen. In der Geschichtswissenschaft geht es doch zunächst mal um eines: Fragen zu stellen und diese zu beantworten. Mein Plädoyer wäre hier sich von Etikettierungen frei zu machen. Historikerinnen und Historiker die sowohl kulturgeschichtlich als auch, sozial- und gesellschaftsgeschichtlich bewandert sind und die auch in der Archivarbeit, der Empirie, den Ereignissen und den Kontexten über umfassende Kenntnisse verfügen, sind hervorragend qualifiziert, Fragen zu entwickeln und diese zu beantworten. Wenn "große (weiße) Männer" Geschichte machen, wenn der Notenwechsel zwischen den Botschaften interessiert oder die Operationsplanungen der NATO für den Fall aller Fälle weiterhelfen - bitteschön. Das interessiert mich auch! Ich kann mir dies allerdings nur in der Kombination mit den von Ihnen vorhin genannten Platzhaltern für Kulturgeschichte und andere Perspektivierungen vorstellen. Und nicht nur das. Sicher, als Selbstzweck machen weder "kulturalistische" und "traditionelle" Ansätze - um sie mal unter diesen Begriffen zusammenzufassen - wenig Sinn. Ich sehe gerade in der Multiperspektivität auf eine Sache den Gewinn. Silvia Berger-Ziauddin fällt mir da ein, die zu Atombunkern in der Schweiz forscht und wunderbar den Erkenntnisgewinn aufzeigt, der aus der Verknüpfung entsteht. Ich denke, das ist mittlerweile Normalität, vor allem wenn man auf aktuelle Qualifikationsarbeiten blickt. Das Bild von einer "harten" versus eine "weiche" Geschichtswissenschaft gehört doch längst in die Mottenkiste.

F: Das jüngst aus der Taufe gehobene Berliner Kolleg Kalter Krieg betont in seiner Forschungsagenda die Durchlässigkeit des Eisernen Vorhangs und die Grenzen der Wirkungsmacht des Kalten Krieges. Laufen Historiker hier nicht auch Gefahr, ihren eigenen Forschungsgegenstand zu demontieren?

A: Kommt darauf an, was Sie unter "demontieren" verstehen. Wenn man darunter Historisieren, Kontextualisieren und Differenzieren, ja den "Kalten Krieg" an sich zum Forschungsgegenstand zu machen, versteht, ist das nur zu begrüßen. Das ist der Forschungsimperativ - zumindest für mich persönlich. Diese Schwerpunksetzung des Kollegs Kalter Krieg kann ich daher nur begrüßen. Dass dieser Ansatz gut funktionieren kann, hat ein Workshop gezeigt, den ich zusammen mit Emmanuel Droit und Jan Hansen im November 2015 veranstaltet habe. Für den Workshop haben wir zunächst den "Kalten Krieg" als Manifestation einer nach binären Logiken codierten Ordnungsvorstellung definiert. Binäres Denken und damit die charakteristische Bipolarität schrieben sich als handlungsleitende Paradigmen in nahezu alle Bereiche der Gesellschaft ein. Sie waren aber niemals total, wie wir herausgefunden haben - höchstens in ihrem Anspruch. Ausgerüstet mit dem Konzept der "Figur des Dritten", die wir uns vom Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Albrecht Koschorke geborgt haben, sind wir dann auf die Suche nach alternativen Ordnungen, Nischen und Widerständen gegangen. Und ich denke, es ist uns mit dieser Vermessung des Feldes gelungen mehr über den Forschungsgegenstand "Kalter Krieg" zu erfahren und ihn zu präziseren, anstatt ihn zu verwässern oder gar abzuschaffen. Ich freue mich daher auch schon sehr auf die Veröffentlichung der Ergebnisse in einem Essayband im kommenden Jahr.

F: Welche neuen Impulse für die Geschichtswissenschaft, aber auch für andere Disziplinen, könnte in den nächsten Jahren von den Cold War Studies ausgehen? In welche Richtung werden sich die Cold War Studies entwickeln?

A: Nehmen wir den letzten Teil der Frage zuerst: Wenn ich nicht so sehr in die Glaskugel blicke, sondern eher Wünsche für die Zukunft äußern darf, dann stünde ganz weit oben - wie bereits gesagt - die Aufforderung den "Kalten Krieg" selbst zum Forschungsgegenstand zu machen und am besten die ganzen "cold war studies" gleich mit. Die bereits angesprochene Dimension vieler "Kalter Kriege", wie sie auch zum Beispiel Pierre Grosser einfordert, kann und muss damit um eine temporale und ideengeschichtliche Sicht erweitert werden. Es ist daher die Frage, wie die verschieden "Kalten Kriege" sich zu einer bestimmten Zeit zueinander positioniert haben und den dynamischen, sich stets wandelnden Gesamtkomplex "Kalter Krieg" formten. Diese Konstellationen zu analysieren und dabei Ungleichzeitigkeiten, Überlagerungen und Widersprüche zu entdecken ist, wie ich gerade bei meinen eignen Forschungen zur "Trilateral Commission" bemerke, sehr spannend. Den "Kalten Krieg" im Plural zu denken bedeutet daher auch den Abschied von Eindeutigkeiten. Den "Kalten Krieg" als dynamischen, komplexen Komplex - wenn man so will - zu verstehen bedeutet ihn aus unterschiedlichen Richtungen zu betrachten. Methodisch denke ich, dass in Verbindung mit den eingangs schon erwähnten ideengeschichtlichen Zugängen auch performanztheoretisch informierte Arbeiten, die Aufführungen und Inszenierungen des "Kalten Krieges" in den Blick nehmen, wichtige Ergebnisse liefern können. Die materielle Kultur des "Kalten Krieges" bietet ebenfalls großes Potenzial zur Erforschung. Ich erwähne hier nur nochmal stellvertretend die Atombunker. Gleiches gilt für die Wissensgeschichte. Das gemeinsam von Judy L. Klein, Lorraine Daston, Michael D. Gordin und Thomas Sturm am Max Planck Institut für Wissenschaftsgeschichte entstandene Buch zur "Cold War Rationality" zeigt für mich eindrucksvoll das Potenzial auf, das eine Geschichte des Wissens - jetzt wird es schwierig mit der Präposition - des "Kalten Kriegs", im "Kalten Krieg" und für den "Kalten Krieg" aufzeigt. [2] Trotzdem sollte die Gesellschaftsgeschichte, also der Kalte Krieg in seinem Wechselverhältnis zu Gesellschaften, weiter eine zentrale Achse bleiben. Felder wie Religion, Sport und auch Impulse aus der Wirtschaftsgeschichte, wie sie etwa gerade von Laura Rischbieter zu Papier gebracht werden, können hier die Forschung fortführen und die Perspektive erweitern. Zum Punkt Impulse für die Geschichtswissenschaft: Die Geschichte des "Kalten Krieges" und die Geschichtswissenschaft werden und sollen sich gemeinsam entwickeln. Um aber noch einen Punkt abschließend anzusprechen: Ich denke, dass mit der gerade erwähnten Historisierung des "Kalten Krieges" die erstaunlich starken, bis in die heutige Forschung hineinwirkenden zeitgenössischen Periodisierungen hinterfragt, aufgebrochen und zunächst durch am Gegenstand entwickelte Chronologien ersetzt werden könnten. Diese könnten sich möglicherweise zu einer neuen übergreifenden, um nicht zu sagen "großen" Erzählung zusammenführen lassen - oder auch nicht. Auf jeden Fall wird in Zukunft die Sinnproduktion, die dem Historisieren zu eigen ist, eine andere sein.