Eine Tagung des Berliner Forschungsprojekts „Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften. Erscheinungsformen, Regulierung und Wahrnehmung im westeuropäischen Vergleich“
Guido Berndt
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
18. September 2019

Nach drei Jahren Förderung durch die Fritz Thyssen Stiftung (Köln) endete mit Ablauf des Jahres 2018 das Berliner Forschungsprojekt zur „Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften“. Um noch eine weitere Perspektive auf dieses vielschichtige und prägende Phänomen zu gewinnen, wurde vom 28. bis zum 29. November 2018 eine Tagung vom Berliner Forschungsprojekt „Militarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften. Erscheinungsformen, Regulierung und Wahrnehmung im westeuropäischen Vergleich“ (Leitung: Dr. Laury Sarti und Prof. Dr. Stefan Esders) veranstaltet. Die Tagung fand in Kooperation mit dem Institut für Archäologie des Mittelalters der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowie dem Deutschen Archäologischen Institut der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg statt. Ziel dieser dritten Tagung war es, das Phänomen der frühmittelalterlichen Militarisierung diesmal aus archäologischer Perspektive unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Befunde und Artefakte zu untersuchen.

LAURY SARTI (Freiburg) – Mitleiterin des Forschungsprojektes und Organisatorin der Tagung – legte in ihrer Einleitung die wichtigsten erkenntnisleitenden Fragen sowie die methodischen Zugänge dar und stellte die bisherigen Aktivitäten des Projektes vor. Sie betonte, dass aus historischer Perspektive Militarisierungsprozesse zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Gesellschaften beobachtet und beschrieben werden können. Für die Untersuchung frühmittelalterlicher Gesellschaften seien neben strukturellen auch mentalitätsgeschichtliche Aspekte von großer Bedeutung, mithin die Frage, wie die Zeitgenossen den Einfluss des Militärischen auf viele Lebensbereiche wahrgenommen hätten. Zudem dürfe das Konzept der ‚Militarisierung‘ nicht als Benennung eines statischen Phänomens verstanden werden, sondern vielmehr als Mittel zur Beschreibung eines historischen Prozesses. Dieser könne in unterschiedlichen Intensitäten ablaufen. Sarti argumentierte zudem, dass eine militarisierte Gesellschaft nicht zwangsläufig auch eine permanent Krieg führende Gesellschaft sein müsse. Schließlich verwies sie auf das große Potential archäologischer Quellen zur Erforschung der unterschiedlichen Merkmale einer militarisierten Gesellschaft, wie dies etwa die Untersuchungen von Waffengräbern, aber auch militärischer Infrastruktur wie etwa Befestigungsanlagen und Burgen ermöglichen.

Mit der Frage nach der Bedeutung von Waffengräbern befassten sich die vier Vorträge der ersten Sektion. Zunächst stellte BENJAMIN HAMM (Freiburg) sein laufendes Dissertationsprojekt vor, für das er eine Datenbank von etwa 2.000 waffenführenden Gräbern aus der Westhälfte des Römischen Reiches aus der Zeit zwischen 300 und 500 erstellt hat. Diese seien aber nur ein äußerst geringer Anteil der insgesamt aus diesem Zeitraum bekannt gewordenen Gräber (etwa 60.000 bislang dokumentiert). Im Hinblick auf die Frage, wer die mit Waffen bzw. Militaria ausgestatteten Toten gewesen sein könnten, verwies Hamm darauf, dass unterschiedliche Interpretationen möglich seien und dass die Formel „Waffengrab gleich Kriegergrab“ zu kurz greife. Zudem sei im Untersuchungszeitraum ein beständiger Wandel zu beobachten, wie militärische Aspekte in den Bestattungsbräuchen repräsentiert werden konnten. Als eine Tendenz sei immerhin festzustellen, dass in der Zeit um 500, insbesondere in den Grenzräumen des römischen Westreiches, den Bestatteten zunehmend vollständige Waffenensembles beigegeben wurden, um sowohl deren Kriegstüchtigkeit als auch deren Maskulinität hervorzuheben.

Auch HUBERT FEHR (Tierhaupten) argumentierte in seinem Vortrag, der sich vor allem auf Befunde des sechsten bis siebten Jahrhunderts konzentrierte, dass nicht jedes mit Waffen ausgestattete Grab zwangsläufig als Kriegergrab angesprochen werden müsse. So gab er zu bedenken, dass diverse Objekte, die als Militaria gedeutet werden (so etwa bestimmte Gürtelschnallen), auch in Frauengräbern vorkommen. Fehr stellte die Befunde verschiedener frühmittelalterlicher Reihengräberfelder im südlichen Zentraleuropa vor und kam zu dem Ergebnis, dass die dort zu beobachtenden Grabsitten stark von einem militärischen Habitus geprägt waren und durchaus mit einer Massenmilitarisierung der jeweiligen Ortsbevölkerung erklärt werden können. Diese habe mitunter erhebliche Ressourcen aufgewandt, den militärischen Habitus im Bestattungsritual hervorzuheben.

JAMES HARLAND (Newcastle) schlug in seinem Beitrag eine Neuinterpretation des frühangelsächsischen Gräberfeldes von Spong Hill (Norfolk) vor. In den bisherigen Forschungen zu diesem Fundplatz überwogen Fragen nach der ethnischen Identität der Bestatteten sowie die Deutung der Gräber als Ausdruck der angelsächsischen Migration nach Britannien. Harland schlug hingegen vor, Spong Hill als einen Indikator für die zunehmende Militarisierung der britannischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch der römischen Herrschaft zu betrachten. Zudem stellte er die Überlegung zur Debatte, ob sich dieser Prozess mit der allmählichen Transformation des antiken Wertesystems der paideia, wie er sich auch in anderen Teilen des ehemaligen weströmischen Reiches im fünften Jahrhundert beobachten lässt, in Verbindung gebracht werden könne.

SUSANNE BRATHER-WALTER (Freiburg) zeigte in ihrem Vortrag, dass auch Frauengräber regelmäßig Ausstattungsstücke enthielten, die deutlich militärisch konnotiert waren. Bewaffnungsfragmente wie etwa Teile von Gürtelgarnituren oder Reste von Kettenhemden, die möglicherweise zu Lebzeiten der Trägerinnen als Amulette gedient hatten, wurden den Verstorbenen mitgegeben. Darüber hinaus gelangten auch Miniaturwaffen in die Gräber, die möglicherweise eigens für die Bestattung angefertigt worden seien. Diese Phänomene deuten Brather-Walter zufolge darauf hin, dass es zu einer Übertragung militärischer Objekte aus der kriegerisch-männlichen Sphäre in die weibliche gekommen sein kann. Dies könne als Indiz für eine gesamtgesellschaftliche Militarisierung gewertet werden.

In den zwei Vorträgen der zweiten Tagungssektion richtete sich der Blick auf die Wikingerzeit. DAWN HADLEY (York) befasste sich mit den archäologischen Spuren des sogenannten Großen Heidnischen Heeres (the Great Heathen Army), das in der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts in England auf Eroberungszug gegangen war. Hadley hob zunächst hervor, dass die archäologische Forschung für diese – wohl mehrere tausend Krieger starken – Militärverbände nicht nur auf reguläre Ausgrabungsergebnisse zurückgreifen könne, sondern auch bemerkenswert viele Objekte, darunter zahlreiche Münzen und Militaria, den in England legal operierenden Metallsuchern zu verdanken habe. Anhand des Fundplatzes Repton, nach Ausweis der Schriftquellen ein Winterquartier der Armee, konnte sie zeigen, dass die wikingischen Krieger für ihre Versorgung nicht nur auf Beutegut setzten, sondern sich auch in lokale und überregionale Handelsnetzwerke einfügten. Darüber hinaus seien auch Spuren des Handwerks, so etwa der Metallverarbeitung, zu erkennen.

STEPHEN HARRISON (Glasgow) stellte in seinem Vortrag archäologische Ergebnisse der Wikingerforschung in Irland vor. Ein Schwerpunkt lag und liegt auf dem wikingerzeitlichen Dublin (9. bis 12. Jahrhundert), wo sich gleich mehrere Gräberfelder fanden, die waffenführende Gräber aufwiesen. Die aus diesen Bestattungen stammenden Lanzenspitzen und Schildbuckel seien typologisch so einzigartig, dass sie als Hinweis auf die herausgehobene Stellung dieser Siedlung gewertet werden können. Um zu einem ausgewogenen Gesamtbild Irlands zur Wikingerzeit zu gelangen, seien aber noch viele weitere Ausgrabungen notwendig. Dies treffe vor allem auf die in großer Zahl dokumentierten Befestigungsanlagen zu. Das Potential dieser Fundplätze veranschaulichte Harrison schließlich anhand der Ausgrabungen in der D förmigen Befestigungsanlage von Woodstown, von der zwar bisher lediglich fünf Prozent der Fläche untersucht worden sei, dennoch bereits über 6.000 Fundobjekte katalogisiert werden konnten.

Die dritte Tagungssektion befasste sich mit der Überlieferung von frühmittelalterlichen Waffen. Das Hauptaugenmerk des Vortrags von ELLORA BENNETT (Berlin) lag auf der Interpretation von Waffenbeigaben aus frühangelsächsischen Gräbern. Bennett zufolge kam den symbolischen Aspekten der im Bestattungsritual verwendeten Gegenstände eine ebenso wichtige Rolle zu wie deren Anwendung im Krieg. Waffen wurden Menschen beiderlei Geschlechts beigegeben, woraus Bennett folgerte, dass eine tatsächliche Fähigkeit, diese zu führen, keine wesentliche Voraussetzung für die bestattende Gemeinschaft bei der Entscheidungsfindung gewesen ist, ob eine Waffenbestattung angemessen war. Insgesamt plädierte sie dafür, intensiver darüber nachzudenken, welche unterschiedlichen symbolischen Ebenen ein Waffengrab haben konnte, um auf diesem Wege zu einem besseren Verständnis zu gelangen, was Krieg und Gewalt für die jeweilige Bestattungsgemeinschaft bedeuteten.

Im Anschluss daran veranschaulichte GUIDO M. BERNDT (Tübingen/Berlin) mithilfe eines historisch-archäologischen Zugriffs die Bedeutung von Waffen im Italien der Langobardenzeit (spätes 6. bis spätes 8. Jahrhundert). Dabei ging er konkret der Frage nach, inwieweit sich Waffenrepräsentationen, die sich sowohl in Beschreibungen der erhaltenen Schriftquellen, als auch in einer Vielzahl von Gräberfeldern ausmachen lassen, als Instrument der Bestimmung des Militarisierungsgrades der langobardischen Gesellschaft interpretieren lassen. Berndt betonte, dass sich im Italien der Zeit vom späten sechsten bis zum späten achten Jahrhundert sowohl Militarisierungs als auch Demilitarisierungstendenzen greifen lassen, mithin die Prozesshaftigkeit des Gesamtphänomens deutlich zu erkennen sei.

Die vierte Sektion befasste sich mit frühmittelalterlichen Befestigungsanlagen. LUC BOURGEOIS (Caen) stellte eine Vielzahl neuer Forschungsergebnisse von belgischen und französischen Fundplätzen aus dem letzten Viertel des ersten Jahrtausends vor. Er konnte zeigen, dass eine bemerkenswerte Anzahl karolingischer Befestigungsanlagen auf römische Vorbilder zurückzuführen sei, was möglicherweise durch eine Verwendung des Militärhandbuchs De re militari aus der Feder des Vegetius (spätes viertes Jahrhundert) erklärt werden kann. Bourgeois gelang es, die Vielfalt der karolingischen Befestigungsbaumaßnahmen nachzuzeichnen, die nicht nur Höhenburgen, Kastelle, Stadtmauern und befestigte Klöster, sondern – vor allem angesichts der Bedrohung durch wikingische Flotten – auch den Ausbau befestigter Brücken zur Verteidigung umfasste.

ALEXANDRU MADGEARU (Bukarest) befasste sich in seinem Vortrag mit Befestigungsanlagen entlang der byzantinischen Donaugrenze in der Zeit vom 10. bis zum 12. Jahrhundert. Zunächst erläuterte er, dass das spätrömische Befestigungssystem insbesondere im Laufe des siebten Jahrhunderts durch awarische Angriffe erhebliche Schäden genommen habe. Als sich dann im 10. Jahrhundert Konstantinopel vor allem durch bulgarische Kriegerverbände bedroht sah, seien sowohl neue Anlagen entstanden als auch noch vorhandene römische Befestigungen wieder instand gesetzt worden. Im 11. Jahrhundert seien es vor allem die militärischen Kampagnen der Petschenegen gewesen, die weitere Befestigungen an der Donaugrenze notwendig machten. Eine weitere Bedrohung dieser Region ging im 12. Jahrhundert von dem turksprachigen Steppenvolk der Kumanen aus, welche die Donau überquerten und das byzantinische Thema Bulgaria angriffen. Insgesamt, so machte Madgearu deutlich, erwies sich der Grenzraum an der Donau trotz erheblicher Investitionen seitens der Kaiser als anfällig für militärische Interventionen nördlich davon beheimateter Kriegerverbände.

Das abschließende Tagungspanel zielte auf eine vergleichende Perspektive des Phänomens Militarisierung ab. SVANTE FISCHER (Uppsala) konzentrierte sich in seinem Vortrag auf die Frage, inwieweit die Militarisierung der spätrömischen Gesellschaft derjenigen einer Kriegergesellschaft am Rande des Barbaricum eine Entsprechung findet. Dazu nahm er mit den kreisförmigen und ovalen Anlagen im spätrömischen Gallien (mit Amphitheatern als Ursprung) sowie auf der schwedischen Ostseeinsel Öland einen charakteristischen Befestigungsbautyp in den Blick. Fischer zufolge konnten die bisherigen Theorien der Forschung das zeitgleiche Vorhandensein dieser sehr ähnlichen Anlagen in den beiden weit voneinander entfernten Regionen nicht hinreichend erklären. Unumstößlicher Beleg für die Interkonnektivität der beiden Untersuchungsräume seien vor allem die Münzen (solidi), die in großen Stückzahlen auf Öland entdeckt wurden. Fischer betonte zudem, dass zu den meisten der befestigten Amphitheater in Gallien frühchristliche Kapellen gehörten und dass sich auch für die in Öland untersuchten Anlagen Kulträume nachweisen lassen. Dort wurde sich in uns nicht mehr en détail bekannten Ritualhandlungen der sozialen Hierarchie sowie der ideologischen Bedingungen des Zusammenhalts der Gesellschaft vergewissert.

In der abschließenden Round-Table-Discussion, an der sich neben den Vortragenden auch FRANS THEUWS (Leiden), SEBASTIAN BRATHER (Freiburg) und STEFAN ESDERS (Berlin) mit eigenen Statements beteiligten, wurden nochmals Begriff und Konzept der Militarisierung mit Blick auf die Archäologie kontrovers diskutiert. Hierbei wurde einerseits der Facettenreichtum des Phänomens deutlich. Gleichzeitig wurde aber auch auf die Schwierigkeiten hingewiesen, einen nicht direkt aus den zeitgenössischen Quellen stammenden Begriff als Forschungskonzept zu etablieren. Die Ergebnisse dieser Tagung sowie der zwei vorangegangenen Veranstaltungen (siehe dazu die entsprechenden Berichte auf diesem Portal) werden voraussichtlich 2020 in Form eines Aufsatzbandes im Verlag Manchester University Press publiziert.

 

 

Tagungsprogramm

28. November 2018

Laury Sarti: Introduction

SESSION I: WEAPON BURIALS (Moderation: Sebastian Brather)

Benjamin Hamm: Change of habit equals change of values? Burials of military men between 300 and 500 A.D.

Hubert Fehr: Mass militarisation in the 6th and 7th centuries?

James Harland: Militarisation in unexpected places? Rethinking narratives about ethnicity and the post-Roman transition at the Early Anglo-Saxon Cremation Cemetery of Spong Hill, Norfolk

Susanne Brather-Walter: Militarisation in the female burial evidence

SESSION II: MILITARY SETTLEMENTS (Moderation: Guido M. Berndt)

Dawn Hadley: Warriors in context: the Viking 'Great Army' and its followers.

Stephen Harrison: Viking Camps in Ireland – New evidence and new interpretations

SESSION III: WEAPONS AND WARRIORS (Moderation: Stefan Esders, Berlin)

Ellora Bennett: Symbolising militarisation. Some considerations on the importance of weapons in early Anglo-Saxon burials

Guido M. Berndt: Weapons as signifiers of militarisation in Lombard Italy. Some historiographical and archaeological perspectives

29. November 2018

SESSION IV: MILITARY FORTIFICATIONS (Moderation: Ryan Lavelle, Winchester)

Luc Bourgeois: Recent research on fortifications in France 850-1000: new themes and new questions

Alexandru Madgearu: The Byzantine Danubian borderland in the 10th-12th centuries

SESSION V: COMPARING EARLY MEDIEVAL MILITARISATION (Moderation: Laury Sarti)

Svante Fischer (Uppsala), Early medieval militarisation in Scandinavia and the outskirts of Rome. A comparative perspective

Final discussion

Epochen: 
Regionen: