Nachwuchsworkshop Militärgeschichte Universität Zürich, 1. Dezember 2017
Adrian Hänni, Daniel Rickenbacher, Thomas Schmutz
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
12. Januar 2018

Politische Gewalt und Bedrohungen für die staatliche Sicherheit sind häufig nicht mehr durch den klassischen Dualismus "militärische Invasion von aussen" oder "Rebellion/Revolution im Inneren" charakterisiert, sondern gehen vielmehr oft von transnationalen paramilitärischen Netzwerken aus.

Das gilt nicht nur in Bezug auf die medial sehr präsente Gefahr durch dschihadistischen Terrorismus. Auch an sich traditionelle Mächte wie Russland üben Gewalt ausserhalb des eigenen Territoriums nicht nur durch reguläre Streitkräfte, sondern zunehmend durch transnationale, paramilitärische Strukturen aus, wie sich beim Waffengang in der Ostukraine deutlich gezeigt hat. Auch wenn sich hier ein Trend im 21. Jahrhundert zu akzentuieren scheint, spielten transnationale Netzwerke bereits im 20. Jahrhundert eine bedeutende Rolle als Akteure politischer Gewalt. Europäische Länder, auch formal neutrale Staaten wie die Schweiz und Österreich, nahmen für diese Netzwerke immer wieder eine zentrale Rolle ein als Ort für Organisation, Nachschub, Propaganda, Diplomatie oder auch als Gewaltschauplatz. 

Nicht zuletzt im Hinblick auf ein besseres Verständnis aktueller Formen politischer Gewalt wurden im Rahmen dieses an der Universität Zürich veranstalteten Workshops anhand konkreter historischer Fallstudien sowie durch eine abschliessende Synthese die Strukturen und Wirkungsweisen transnationaler paramilitärischer Netzwerke untersucht, die im Europa des 20. Jahrhundert wirksam waren. Geographische Fokusse wurden dabei einerseits auf den deutschen Sprachraum, andererseits auf Osteuropa gelegt.

Das erste Panel des Workshops beleuchtete militärische Netzwerke, internationale Kriege und transnationale Gewalt vor 1945 und setzte sich dabei insbesondere mit Schweizer Akteuren auseinander. NIKO ROHÉ (Bielefeld) verwies auf die internationale Tätigkeit von Schweizer Militärbeobachtern. Der Griechisch-Türkische Krieg der 1890er Jahre führte zu einem Transfer militärischen Wissens mittels der vielen westeuropäischen Vertreter, aber auch zwischen diesen Akteuren. Sie alle wollten sich vor Ort ein Bild davon machen, wie der Krieg der Zukunft aussehen könnte. Schweizer Offiziere waren hier nur bedingt in einer Hauptrolle anzutreffen, auch wenn die fehlende Kriegserfahrung und die Neutralität ideale Voraussetzungen für eine Beobachtermission darstellen konnten. MARIO PODZORSKI (Bern) untersuchte den Blick über nationale Grenzen hinweg in seiner Darstellung der Grenzposten der neutralen Schweiz im Ersten Weltkrieg. Die dort gemachte Erfahrung des Kriegs als Erlebnis und doch fremde Welt verdeutlichte, dass der erwartete "Krieg der Zukunft" ohne die Schweiz stattzufinden schien. Dabei blieb aber nicht verborgen, welche Formen von paramilitärischer Gewalt sich neben den regulären Streitkräften im Umfeld der Alpen entwickelten. Podzorski bezeichnete den Ersten Weltkrieg gar als ein Epizentrum paramilitärischer Gewalt und sprach von einer positiven Erfahrung des Paramilitarismus, solange dieser nationalen Zielen diente. Diese Erfahrung habe kollektive Deutungsmuster von paramilitärischer Gewalt im 20. Jahrhundert geformt.

Neben der Besprechung empirischer Erkenntnisse bot der Workshop den zusammenkommenden Nachwuchswissenschaftlern ausserdem Gelegenheit, verschiedene Methoden und Werkzeuge zur Erforschung transnationaler Beziehungsnetze zu diskutieren. In seinem Keynote-Referat gab MATTHIAS BIXLER (Zürich) eine Einführung in die Soziale Netzwerkanalyse, welche in der Geschichtswissenschaft bislang eher selten eingesetzt wurde. Dabei zeigte er auf, welche Möglichkeiten, aber auch welche Grenzen diese quantitative Methode bietet und worauf Historiker bei ihrem Einsatz besonders achten sollten.

Ein weiteres Panel thematisierte transnationale Netzwerke linker Gewalt zwischen den 1960er und den 1980er Jahren. DANIEL RICKENBACHER (Zürich) diskutierte am Beispiel der Schweiz die Netzwerke palästinensischer Aktivisten, welche ab den späten 1960er Jahren in Europa aufgebaut wurden. Diese Netzwerke verknüpften palästinensische Akteure, insbesondere aus den Reihen der Fatah, mit Aktivisten der gleichzeitig entstehenden Neuen Linken. Sie dienten der Rekrutierung und vor allem der Verbreitung von Propaganda, wobei gemäss Rickenbacher auch terroristische Akteure in diesen Netzwerken zirkuliert und diese für Gewaltakte mobilisiert haben. Als konkrete historische Wirkung dieses Akteursnetzes habe sich das Araberbild in der Schweiz in den frühen 1970er Jahren deutlich verbessert – trotz den vielen Terroranschlägen in jener Zeit. MAX GEDIG (München) zeigte anhand einer quantitativen Netzwerkanalyse der Bewegung 2. Juni (B2J), die Zellen in Deutschland, Österreich und Schweden unterhielt, wie enge persönliche Netzwerke, die sich durch eine sehr hohe Dichte persönlicher Bekanntschaften und eine hohe Interaktionsdichte auszeichneten, zunächst zu einer kognitiven Radikalisierung führten. Eine steigende Bereitschaft, politische Ziele mit Gewalt zu erreichen, wiederspiegelte sich dann in Strassengewalt und schliesslich in ersten Anschlägen. Gedig zeigte eindrücklich, wie die transnationale Erfahrung der B2J neben ihrer Radikalisierung einen Lernprozess antrieb, durch den die Gruppe mit neuen Organisationsformen, Ideologieelementen und Gewaltpraxen vertraut gemacht wurde. Diese Ressourcentransfers bestimmten massgeblich die Geschichte der B2J. Im letzten Referat des Panels untersuchte VOJIN SASA VUKADINOVIC (Zürich) die Organisation Internationaler Revolutionäre (OIR) und ihre zahlreichen Verbindungen in die Schweiz. Dabei zeigte er auf, wie sich das von "Carlos dem Schakal" gelenkte Netzwerk, das in den 1980er Jahren für zahlreiche Gewaltakte verantwortlich zeichnete, vom Nahen Osten über Osteuropa bis in die BRD und die Schweiz erstreckte. Diese Transnationalität führte gemäss Vukadinovic zu einer "Konvergenz der Ideologien" Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus.

Im letzten Panel des Workshops ging es um rechtsextreme und nationalistische Gewaltnetzwerke in Osteuropa. MASCHA BRAMMER und JONAS EICHHORN (Frankfurt an der Oder) präsentierten ihre Arbeit zum transnationalen "neo-eurasischen" Netzwerk und der Verbreitung von Separatismus in der Ukraine in den Jahren zwischen 2005 und 2014. Anhand der Daten von Treffen eurasischer Aktivisten führten sie eine Soziale Netzwerkanalyse durch. Eine ihrer interessanten Erkenntnisse ist, dass zentrale Akteure dieses Netzwerks später auch im Krieg in der Ostukraine aktiv wurden. MATTHIAS THADEN (Berlin) sprach anschliessend in seinem Beitrag über die transnationalen Netzwerke kroatischer Immigranten in der BRD. Als erste Ausländergruppe in der BRD griffen kroatisch-nationalistische Aktivisten zum Mittel des Terrorismus, um auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen. Sie prägten damit nachhaltig die Wahrnehmung des "Ausländerextremismus" in der BRD und die politische Antwort darauf. Thaden sieht im kroatischen Exilterrorismus gar ein wichtiges Element in der Genealogie der Überwachung von Ausländern. Trotzdem sind die Aktivitäten kroatischer Exil-Gruppierungen, die nicht nur Terrorismus umfassten, heute weitgehend vergessen. Wahrscheinlich, so der Referent, weil sich die kroatische Frage durch die Errichtung des Nationalstaats erledigt hat.

Zum Abschluss wagte FRITZ KÄLIN (Zürich) den Versuch einer Synthese der verschiedenen Beiträge, wobei er insbesondere auf die Bedeutung von Staatsgrenzen einging. Kälin argumentierte, dass bei der Analyse von bewaffneten Konflikten, die über das Territorium eines einzelnen Staates hinausreichen, nicht nur Überschreitungen, Verletzungen oder gar Auflösungen von Grenzen für Historiker interessant seien, sondern gerade auch ihre Einhaltung. Kälin verweist auf das Beispiel der Schweizer Militärangehörigen im 1. Weltkrieg, die als abkommandierte Beobachter oder im Aktivdienst an der Grenze schwersten zwischenstaatlichen Kampfhandlungen wie von einem Logenplatz beiwohnen konnten, weil selbst in einem der verheerendsten Kriege der Geschichte die Grenzen des neutralen Kleinstaates von den Kriegsparteien weitestgehend geachtet wurden. Andererseits sei gerade die normative Unverletzlichkeit von Staatsgrenzen ein Grund für staatliche Akteure, transnationale paramilitärische Netzwerke zu unterstützten. Deren Instrumentalisierung erlaube es nämlich, im Verborgenen gegen einen anderen Staat bestreitbare Gewalt auszuüben.