Ein Instrument für den politischen Wandel in Europa
Josef Holik
Aufsatz
Veröffentlicht am: 
16. Juni 2014

Josef Holik, geb 1931 im nordböhmischen Tetschen a.d. Elbe, trat nach seinem Studium in Deutschland und den USA 1961 in den Auswärtigen Dienst ein. Dort hatte er Auslandsposten in Moskau, Madras, Brüssel (NATO), Mogadischu und Wien inne. 1987 bis 1995 war er Beauftragter der Bundesregierung für Rüstungskontrolle und Abrüstung, 1991 bis 1996 Mitglied des Beirats des Generalsekretärs der Vereinten Nationen für Sicherheit und Abrüstung. In diesem Text erläutert er den Verlauf der Abrüstungsverhandlungen, an denen er unter anderem selbst beteiligt war. (Die Redaktion)

 

Der Abbau der politischen Konfrontation habe den Abbau der militärischen Konfrontation möglich gemacht - diese einfache Formel fand sich gern in Ministerreden, die zu Beginn der 90er Jahre die Wende in Europa feierten. Wer die Geschichte des Kalten Krieges analysiert, wird eher dazu neigen, die These umzudrehen: Erst der Abbau der sowjetischen Übermacht und die Herstellung konventionellen Gleichgewichts in Europa hat die friedliche Wende in den Ost-West-Beziehungen möglich gemacht - wie auch die friedliche Einigung Deutschlands.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs war die Übermacht der Sowjetunion bei den konventionellen Streitkräften für die Westeuropäer Kernproblem ihrer Sicherheit. Begonnen hatte es mit den erfolgreichen Bemühungen Stalins, den im Kriegsergebnis gewonnenen Machtbereich der Sowjetunion im östlichen und im zentralen Europa zu konsolidieren, auszuweiten und gleichzeitig die Verheißungen der leninistischen Ideologie weltweit voranzutreiben - das revolutionär-imperiale Paradigma. 1 Die USA reagierten weltweit mit einer Politik zur Eindämmung sowjetischer Macht, in Europa mit der Initiative zur Gründung der NATO. Um sich „vor den Russen zu schützen", schlossen sich die Westeuropäer mit den Amerikanern 1949 zum Verteidigungsbündnis zusammen, die Bundesrepublik Deutschland zog später nach. Die Sowjetunion gründete ihrerseits mit ihren „sozialistischen Bruderstaaten" den Warschauer Pakt. Europa zerfiel in zwei Blöcke.

Von Anfang an musste sich die NATO der geostrategischen und der quantitativen Überlegenheit der Sowjetunion bei den konventionellen Streitkräften stellen. Zusammen mit ihren Verbündeten besaß die UdSSR auf der „inneren Linie", auf dem europäischen Kontinent, stets mehr Streitkräfte als der Westen und konnte sie rascher und sicherer verstärken. Die sowjetischen Militärs waren sich ihrer Überlegenheit stets bewusst. Noch 1989 beschwor Verteidigungsminister Dmitri Jasow die sowjetische Verhandlungsdelegation vor der Unterzeichnung des Vertrags über die konventionellen Streitkräfte in Europa, der das konventionelle Gleichgewicht in Europa herstellen sollte: „Bedenkt, was ihr aufgeben wollt! Unsere Streitkräfte in Mitteleuropa sind die stärksten der ganzen Geschichte. Wir müssen nur den Befehl geben, und sie werden rollen, eine unaufhaltsame Welle, bis zum Englischen Kanal." 2

Um die Lücke im konventionellen Kräfteverhältnis auszugleichen, mussten die nuklearstrategischen Streitkräfte der USA die doppelte Aufgabe übernehmen, nicht nur vor einem Angriff auf das amerikanische Territorium abzuschrecken, sondern auch vor einem Angriff auf Westeuropa. An der Glaubwürdigkeit dieser erweiterten Abschreckung hing letztlich die Sicherheit der Westeuropäer. Seit Beginn der Entspannungspolitik Ende der 1960er Jahre war der Westen bemüht, seine Schwäche im konventionellen Bereich auch durch Bemühungen um Rüstungskontrolle auszugleichen. Fast 16 Jahre lang verhandelten die Mitgliedstaaten der beiden Militärbündnisse in den Wiener Mutual Balanced Force Reductions-Verhandlungen (MBFR) über gegenseitige Truppenreduzierungen in Mitteleuropa. Die Verhandlungen scheiterten, weil die Sowjetunion nicht bereit war, ihre Überlegenheit bei den konventionellen Streitkräften in diesem Raum durch asymmetrische Reduzierungen aufs Spiel zu setzen. Erst nach Amtsantritt Michail Gorbatschows im Jahre 1987 erkannte die sowjetische Führung, dass die wirtschaftliche und politische Stagnation der UdSSR und des Warschauer Pakts keine Alternative zu einem Ausgleich mit dem Westen bot und dass die Verständigung über militärische Fragen Voraussetzung für die Einigung über politische Konzepte für eine Wende war: Ohne seine Zustimmung zur Nulllösung bei den nuklearen Mittelstreckenraketen wäre die Glaubwürdigkeit Gorbatschows im Westen begrenzt geblieben, und ein erfolgreicher Abschluss der Verhandlungen über die Konventionellen Streitkräfte in Europa (KSE) war westliche Vorbedingung für die Charta von Paris für ein neues Europa, mit der der Ost-West- Konflikt im November 1990 feierlich für beendet erklärt werden sollte.

Erster Versuch zur konventionellen Rüstungskontrolle: Mutual Balanced Force Reductions

Bei der Vorbereitung auf Verhandlungen über konventionelle Rüstungskontrolle, die bündnisintern 1968 begannen, sah sich die NATO in einer taktisch schwachen Position: Es wäre nicht sehr glaubwürdig gewesen, eine Erhöhung der westlichen Truppenstärken auf das östliche Niveau anzudrohen - wie Helmut Schmidt es vorschlug -, sollte sich der Warschauer Pakt einer Verhandlung über beiderseitige Verminderungen entziehen. 3 Substantielle Verstärkungen der westeuropäischen Verteidigungsbeiträge waren politisch nicht durchsetzbar; es war bereits ein ehrgeiziges Ziel, auf längere Sicht Kürzungen zu vermeiden. Hier lag ein wesentlicher Zweck des Verhandlungsvorschlags für gegenseitige und ausgewogene Verminderungen der Land- und Luftstreitkräfte in Mitteleuropa, den die NATO im Juni 1968 dem Warschauer Pakt unterbreitete - Mutual Balanced Force Reductions (MBFR). 4Auf amerikanische Initiative riefen die Außenminister der NATO auf ihrer Frühjahrskonferenz in Reykjavik „die Sowjetunion und andere Länder Osteuropas auf, sich im Interesse des Friedens an der Suche nach Fortschritt auf diesem Gebiet zu beteiligen". 5

Ich erinnere mich an die Einführung dieser Initiative durch den amerikanischen NATO-Botschafter Cleveland. An einem arbeitsfreien Samstag im Mai 1968 lud Generalsekretär Brosio die Ständigen Vertreter der NATO-Partner zu einer informellen Sitzung in sein Büro, zu der ich den deutschen NATO-Botschafter Grewe als „Notetaker" begleiten durfte. Cleveland verteilte einen Textvorschlag zur Ergänzung des in der NATO bereits beratenen Schlusskommuniqués für das Treffen in Reykjavik, mit dem ich - als Neueinsteiger ins Abrüstungsfach - Probleme hatte: Nach der Sitzung und vor dem Bericht nach Bonn fragte ich Grewe, ob er das vorgeschlagene Verhandlungsangebot für realistisch und verhandelbar hielt. Warum sollte der Warschauer Pakt seine konventionelle Überlegenheit ohne substantielle Gegenleistung der NATO auf den Verhandlungstisch legen? Grewe lächelte nachsichtig und strich mit seinem Bleistift die Ziffer 4 des Entwurfs an: Da die Sicherheit der NATO-Länder und die Aussichten auf beiderseitige Truppenverminderungen geschwächt würden, wenn nur die NATO Verminderungen vornähme, bekennen sich die Minister zu dem Konzept, dass das militärische Gesamtpotential der NATO nicht vermindert werden sollte, es sei denn im Rahmen eines nach Umfang und zeitlichem Ablauf ausgewogenen Systems beiderseitiger Truppenverminderungen.

Bei der Präsentation des MBFR-Vorschlags spielte diese indirekte Zielsetzung natürlich eine untergeordnete Rolle. Dass die interessierte Öffentlichkeit im Westen für den konzeptionellen Ansatz von MBFR zu gewinnen war, lag vor allem an der Attraktivität der neuen Ideen des Aufbruchs zur Rüstungskontrolle - arms control, wie sie nach der Kubakrise in den USA debattiert und bereits in der Aufnahme des Strategic Arms Limitation Talks (SALT) sichtbar geworden waren. In dieses Denkmuster passten auch Verhandlungen zur Stabilisierung des militärischen Kräfteverhältnisses in Mitteleuropa, wo sich die Armeen der beiden Paktsysteme auf Schussweite gegenüberstanden, als wichtiger Schritt zur Minderung der Kriegsgefahr und vor allem zur Verhütung eines Überraschungskrieges. Die Verhandlungen könnten, so argumentierte anfangs sogar der MBFR-Skeptiker Genscher, in einem begrenzten Ausschnitt des militärischen Kräfteverhältnisses einen Beitrag zu dem umfassenden Prinzip der Parität leisten; gerade nach SALT könnte ein gleichgewichtiges Kräfteverhältnis bei den konventionellen Streitkräften in Europa die Grundlage für einen tragfähigen sicherheitspolitischen modus vivendi schaffen, der den Sicherheitsinteressen beider Seiten gerecht würde. 6Leider jedoch waren in den Hauptstädten der wichtigsten Protagonisten die Verhältnisse nicht so, dass man einen baldigen Erfolg erwarten konnte. Die mit MBFR verbundenen Interessen waren schwer unter einen Hut zu bringen.

Für Moskau war MBFR allenfalls nützliches Instrument einer Politik des „Disengagements" mit dem Ziel einer von den Großmächten kontrollierten militärischen Zone in Mitteleuropa. Die Sowjets waren vor allem an einem Mitspracherecht in Sicherheitsfragen der Bundesrepublik Deutschland in interessiert und an deren Ausgrenzung im westlichen Bündnis. Julyi Kwitsinskij, damals stellvertretender sowjetischer Verhandlungsleiter in Wien, später Botschafter in Bonn und Verhandlungsführer bei INF in Genf, vertraute seinem Bonner Kollegen Friedrich Ruth in gelöster Heurigenstimmung an: „Wir brauchen keine Reduzierungen, wir wollen Euch!" Zu asymmetrischen Reduzierungen, also größeren Reduzierungsquoten für den Warschauer Pakt als für die NATO, war die Sowjetunion bei MBFR - anders als später in den KSE-Verhandlungen - nie bereit. Das vom Westen geprägte Kürzel MBFR für Mutual Balanced Force Reductions wurde von den östlichen Verhandlungsteilnehmern nie gebraucht, weil sie keine „ausgewogenen", sondern allenfalls für beide Seiten gleiche, also symmetrische Reduzierungen wollten.

In Washington war MBFR im Vergleich zu SALT kein Thema von größerer sicherheitspolitischer oder innenpolitischer Relevanz. Anfangs setzten sich amerikanische Experten gelegentlich kreativ für Verhandlungsergebnisse ein - so der erste Verhandlungsführer Jonathan Dean, der sich hinter dem Rücken seiner europäischen Partner mit dem sowjetischen Gegenüber ehrgeizig um einen Durchbruch bemühte (und damit einen diplomatischen Protest Genschers auslöste). Doch bald verlor Washington das Interesse an raschen Fortschritten und verstand die Verhandlungen eher als Teil des „alliance management", wie das mein amerikanischer Kollege als MBFR-Delegationsleiter, Robert Blackwill, gern ausdrückte: Die erstmalige Beteiligung der europäischen Partner an Verhandlungen über Rüstungskontrolle an der Seite der USA sollte europäisches Misstrauen angesichts des amerikanisch-sowjetischen SALT-Prozesses beschwichtigen und die kollektive Verteidigung durch entsprechende Kollektivität in der Politik der Rüstungskontrolle konsolidieren. Das war wichtiger als Fortschritte in den Verhandlungen, die wichtige Bündnispartner wie die Bundesrepublik Deutschland leicht verunsichern konnten. Als der 1984 ausscheidende MBFR-Delegationsleiter Kenneth Starr seinen Abschiedsbesuch im Pentagon absolvierte, gratulierte ihm der Beigeordnete Staatssekretär Richard Perle: „You obviously did a good job, because nothing happened". 7

Für die Labour-Regierung in London war MBFR ein wichtiger Beitrag zur Entspannungspolitik und schon deshalb positiv zu bewerten. In der Tradition der besonderen Partnerschaft engagierte sie sich vorbehaltlos für den MBFR-Vorschlag aus Washington und ließ sich darin auch von Zweifeln der deutschen NATO-Partner nicht beirren. Während einer Regierungskonsultation in Checkers nahm Außenminister Owen seinen deutschen Kollegen Genscher beiseite und versuchte, ihm seine MBFR-Skepsis auszureden. Er berief sich dabei auf einen Auftrag aus Genschers Koalitionspartei SPD: Egon Bahr habe ihn um diese Intervention gebeten.

Paris verweigerte sich von Anfang an jeder Mitwirkung an MBFR, weil eine kollektive Block-zu-Block-Verhandlung mit dem Verständnis von Frankreichs eigenständiger Rolle in der Atlantischen Allianz unvereinbar war. Die NATO hätte sich deshalb, wollte sie in Ost und West gleiche Höchststärken erreichen, die französischen Streitkräfte in Deutschland, was immer ihr Stand gewesen wäre, auf ihre eigene Höchststärke anrechnen lassen müssen.

In Bonn wirkte, als die Diskussion über MBFR begann, der Streit über den „Rapacki-Plan" noch nach: Der seit 1957 in verschiedenen Varianten immer wieder vorgelegte Vorschlag des damaligen polnischen Außenministers wollte die Bundesrepublik Deutschland, die DDR, Polen und die Tschechoslowakei in eine Zone mit besonderem, von den Großmächten kontrollierten militärischen Status einbinden. In der SPD gab es Sympathie für diesen Ansatz. Noch als Sonderminister Willy Brandts legte Egon Bahr vor den Attachés des Auswärtigen Amts seine Vision einer Zone der Neutralität in Mitteleuropa dar, zu der außer einem wiedervereinigten Deutschland auch Polen, die Tschechoslowakei und die Beneluxstaaten gehören sollten 8 - Rüstungskontrolle als Instrument einer Politik der Wiedervereinigung Deutschlands. Freilich lehnten die von der CDU geführten Bundesregierungen seit Adenauer die immer wieder vorgelegten Pläne für ein militärisches Disengagement in Mitteleuropa entschieden ab: „Sie bringen uns der wirklichen Abrüstung keinen Schritt näher, sie verewigen die Teilung Deutschlands, verschieben das Kräfteverhältnis zugunsten des Ostblocks und erhöhen daher die Unsicherheit in der Welt." 9Außenminister Genscher und seine engeren Berater stimmten - in gewollter Abgrenzung zum Koalitionspartner SPD - mit dieser Position weitgehend überein und verfolgten die Bemühungen um das Zustandekommen der MBFR-Gespräche auch im eigenen Hause mit Argwohn. Der damalige Politische Direktor im Auswärtigen Amt, Berndt von Staden, erzählte gerne, er habe sich im Krankenhaus von einer Kreislaufschwäche erholt, als ihm ein Mitarbeiter stolz berichtete, in Brüssel sei die Einigung auf ein Mandat für MBFR-Verhandlungen gelungen - da habe er einen Rückschlag erlitten. Selbst Abrüstungsexperten der CDU, wie der von Genscher sonst hochgeschätzte Alois Mertes, standen unter Anfangsverdacht, den Genscher vor seinen Mitarbeitern offen äußerte: „Der Mertes ahnt gar nicht, wie gefährlich das ist, worauf er sich da einlassen möchte!" Die Sowjetunion, das war für Genscher klar, wollte mit den MBFR-Verhandlungen Zugriff auf die einzig wirklich bedeutsame europäische Armee gewinnen - die Bundeswehr. Nur für die Bundeswehr nämlich wäre ein MBFR-Ergebnis wegen der geographischen Rahmenbedingungen auf tatsächliche Abrüstung hinausgelaufen, für die übrigen Beteiligten auf eine regionale Streitkräfteverdünnung.

Da hatte Genscher Recht. Der in Wien vereinbarte „Raum der Reduzierungen und Begrenzungen" beschränkte sich nämlich auf östlicher Seite auf die DDR, Polen und die Tschechoslowakei, auf westlicher Seite auf die Bundesrepublik Deutschland und die Benelux-Staaten - ein Raum, der zu begrenzt war, um selbst bei Herstellung einer ausgewogenen Kräfterelation die strategischen Disparitäten in gesamteuropäischem Maßstab ausgleichen zu können. Natürlich wären die Teilnehmerstaaten, die mit ihrem Territorium und mit ihren gesamten Streitkräften im Raum der Reduzierungen lagen, von einem MBFR-Abkommen viel stärker betroffen gewesen als diejenigen, die dort nur Stationierungsstreitkräfte unterhielten. Dies galt in besonderem Maße für die Reduzierung und Begrenzung von Waffensystemen: Die Sowjetunion hätte ihre abzuziehenden Panzer höchstens um einige hundert Kilometer an ihre Westgrenze zu Polen verlegen müssen, wo sie für einen schnellen Einsatz in Mitteleuropa verfügbar geblieben wären; für die USA hätte ein Rückzug ihrer Panzer auf eigenes Territorium schwerwiegende strategische Nachteile gehabt; für die Teilnehmerstaaten im Raum der Reduzierungen aber wären permanente Begrenzungen ihrer Verteidigungsfähigkeit herausgekommen.

Aus diesen Erwägungen heraus sah die NATO in ihrem für die Verhandlungen ausgearbeiteten Verhandlungsvorschlag von einer generellen Einbeziehung von Waffensystemen ab und begnügte sich mit Reduzierungen und Begrenzungen der Mannschaftsstärken bei den Land- und Luftstreitkräften; vorgeschlagen wurden gleiche kollektive Höchststärken für beide Kategorien in Höhe von 900.000, aber nicht mehr als 200.000 für das Personal von Luftstreitkräften. Nur die Sowjetunion und die USA sollten Panzer reduzieren, die USA ihre Panzer unter Aufsicht einlagern dürfen. Diese „Selektivität" in Hinblick auf die Einbeziehung von Waffen war eines der Prinzipien, die die NATO aus den ungleichen geographischen Rahmenbedingungen ableitete. Das für uns wichtigste aber war die „Kollektivität": Um permanente nationale Höchststärken für die im Raum der Reduzierungen gelegenen Teilnehmerstaaten zu vermeiden, sollten keinerlei nationale Verpflichtungen der Teilnehmerstaaten gegenüber der Gegenseite eingegangen werden. Verhandlungsziel waren vielmehr kollektive Höchststärken für das Personal der Land- und Luftstreitkräfte, die jedes der beiden Bündnisse im Raum der Reduzierungen unterhalten durfte. Über deren wie auch über spätere Änderungen der Zusammensetzung sollte nur intern innerhalb des Bündnisses ohne Mitspracherecht des Warschauer Pakts entschieden werden.

Erst als es gelang, die Kernprinzipien Parität, Kollektivität und Selektivität in der westlichen Verhandlungsposition unverrückbar zu verankern, war das Auswärtige Amt beruhigt. Ein MBFR-Abkommen, das diesen Kriterien Rechnung getragen hätte, lag freilich nicht in Reichweite. Fortan begnügte sich die Amtsspitze damit, internen Aufweichungsversuchen vorzubeugen. Beliebtestes Streitthema war die Wahrung der Kollektivität - ein eherner Schutzschild zur Abwehr aller Bemühungen um ein Mitspracherecht der Sowjetunion in Fragen der deutschen Verteidigung. Die üblichen Verdächtigen saßen in der SPD-Fraktion und in dem von Koalitionspartner Hans Apel geleiteten Bundesministerium für Verteidigung. Aber auch Gedankenspielen im eigenen Hause misstraute Genscher. Als für MBFR verantwortlicher Referatsleiter im Auswärtigen Amt versuchte ich - sozusagen der Sicherheit des Arbeitsplatzes wegen - die stagnierenden Wiener Gespräche durch etwas mehr Verhandlungsspielraum in der Frage der Kollektivität, abgesichert durch raffinierte Vertragsklauseln, voranzubringen. Das erwies sich als vergebliche Liebesmüh, die Entscheidungsvorlage kam mit einem Randvermerk des Ministers zurück: „Formelkram!". Bald hatte ich jedoch Gelegenheit, diese Scharte auszuwetzen. In einer Bundestagsdebatte vertrat Bundeskanzler Helmut Schmidt eine Position, die für das Auswärtige Amt indiskutabel war: Er hielt eine vertragliche Festschreibung der nationalen Reduzierungsquoten der westlichen MBFR-Teilnehmer für denkbar, solange sichergestellt bleibe, dass über diese Quoten zuvor nur allianzintern entschieden wurde. Leider hörte ich der Debatte im Bundestag aufmerksam zu und sorgte mit Hilfe des anwesenden Staatssekretärs van Well umgehend für eine linientreue Korrektur des stenographischen Protokolls der Sitzung - weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Frustrierende Verhandlungen

Solche Rahmenbedingungen machen verständlich, warum der in jahrelangen Konsultationen in der NATO entwickelte Verhandlungsvorschlag für MBFR in seiner militärischen Relevanz begrenzt und überdies kompliziert und schwer verhandelbar war. Sie erklären auch die Schwerfälligkeit des Verhandlungsapparats auf westlicher Seite 10 - auf der Gegenseite kam es im Bedarfsfall ohnehin nur auf die sowjetische Delegation an - und einen gewissen Dogmatismus, der sich in den jahrelangen Verhandlungsrunden herausgeformt hatte. Damit konnte der Westen vor der Öffentlichkeit aber noch bestehen, solange der Osten auf symmetrischen Reduzierungen bestand, die nach vorwiegender Einschätzung die sowjetische Überlegenheit verschärfen mussten. Schwierig wurde es erst, als der Osten 1978 in der Grundsatzfrage der Parität im Prinzip einlenkte. Bei einem Besuch in Bonn im Mai 1978 räumte Generalsekretär Breschnew in einer gemeinsamen Erklärung mit Bundeskanzler Schmidt erstmals ein, „dass annähernde Gleichheit und Parität zur Gewährleistung der Verteidigung ausreichen. (Ihrer Meinung nach) würden angemessene Maßnahmen der Abrüstung und Rüstungsbegrenzung im nuklearen und konventionellen Bereich, die diesem Grundsatz entsprechen, von großer Bedeutung sein". 11

Dieses ideologische Zugeständnis auf höchster Ebene musste Konsequenzen für die Verhandlungsposition des Warschauer Pakts für MBFR haben. Es dauerte nicht lange, bis sich die östlichen Verhandlungsführer in Wien zur Parität als Verhandlungsziel bekannten. Der Sieg auf der ideologischen Ebene brachte dem Westen in der Praxis allerdings gar nichts, denn die Sowjetunion behauptete nun gleichzeitig - und legte zum Beweis eigenes Datenmaterial vor -, dass bereits in der Ausgangslage Parität bestehe, so dass nur symmetrische Reduzierungen zu einem gleichgewichtigen Ergebnis führen könnten. Damit wurde die „Datendiskussion" zum zentralen Thema: Wenn beide Seiten ein paritätisches Verhandlungsergebnis wollten, musste, um die notwendigen Reduzierungsquoten festlegen zu können, zuvor Einigung über die numerische Ausgangslage erzielt werden, die sogenannte Dateneinigung. Die östliche Seite legte aber nur pauschale Daten für ihre Streitkräfte im Raum der Reduzierungen vor, die der Westen nicht für glaubwürdig hielt. Sie wichen von den westlichen Einschätzungen ziemlich genau um die Zahl ab, die für die NATO die bestehende Disparität ausmachte - d.h. der Osten kaschierte seine numerische Überlegenheit durch gezinkte Zahlenangaben. 12 Die vom Westen geforderte vertiefte Diskussion über die Diskrepanz zwischen westlichen Einschätzungen und östlichen Vorlagen wurde abgelehnt. Für die sowjetischen Militärs war die angestrebte Transparenz in militärischen Dingen, vor allem die Forderung nach Aufschlüsselung ihrer pauschalen Zahlenangaben, ohnehin eine Zumutung. Darüber hinaus waren sie davon überzeugt, dass die Armeen des Warschauer Pakts gegenüber den NATO-Armeen im Hinblick auf Ausbildung und Qualität der Kampftechnik deutlich im Rückstand waren. Ihr einfaches Kalkül für den Streitkräftevergleich: Im Gefechtsfall könnte ein amerikanischer Panzer zwei der eigenen veralteten Panzer vernichten. Deshalb musste ein dritter sowjetischer Panzer da sein, um den Amerikaner abzuschießen. 13

Leider sollte die Verweigerungstaktik des Ostens in der Datenfrage auf die Dauer aufgehen. Die grundsätzliche Position der NATO zur Datenfrage war in der interessierten westlichen Öffentlichkeit anfangs fast einmütig unterstützt worden. Aber es wurde schwierig, den Stillstand der Verhandlungen von einer Runde zu anderen immer wieder mit dem Hinweis auf die mangelnde Kooperation des Ostens in der Datenfrage zu begründen. Als sich die Datendiskussion jahrelang ergebnislos hinzog, büßte die westliche Verhandlungsposition für MBFR zunehmend an Glaubwürdigkeit ein. Eine Initiative, mit der ich noch als für MBFR zuständiger Referatsleiter versuchte, die Einigung über Ausgangsdaten durch Überprüfung der Ergebnisse zu erreichen, scheiterte schon in trilateralen deutsch-amerikanisch-britischen Vorbereitungsgesprächen; vor allem die Briten zeigten sich in der Datenfrage dogmatischer als die CIA, dem wichtigsten Lieferanten der westlichen Einschätzungen für die Streitkräftestärken des Warschauer Pakts. Als sich dann ein neuer britischer Verhandlungsleiter in Wien, der zuvor persönlicher Referent Thatchers war und in der Downing Street immer noch über Einfluss verfügte, über die Bedenken im Außenministerium hinwegsetzte und im Juli 1985 die von uns vorgeschlagene „Daten-Verifikations-Initiative" möglich machte, war es zu spät - schon zeichnete sich ein neues und größeres Forum für die konventionelle Rüstungskontrolle ab: die Verhandlungen über Konventionelle Streitkräfte in Europa (VKSE). Die MBFR-Verhandlungen wurden am 3. März 1989 im Einvernehmen aller Teilnehmer abgebrochen.

Neuer Ansatz: Verhandlungen über die konventionellen Streitkräfte in Europa

Ein knappes Jahr später, bei der Open-Skies-Konferenz in Ottawa, als es um ganz andere Themen ging, nahm mich mein sowjetischer Kollege, Vizeaußenminister Viktor Karpow, beiseite, um mir sein Herz über die traurige Geschichte von MBFR auszuschütten: Sechzehn Jahre seien für Verhandlungen vergeudet worden, in denen der Streit über Daten und über „theologische" Fragen der Rüstungskontrolle eine substanzielle Diskussion über die Sicherheit Europas verhindert habe. Die politische Führung der Sowjetunion - die Betonung lag auf politisch - habe ihre Lehre daraus gezogen und sei bereit, die neuen Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa ergebnisorientiert und flexibel zum Erfolg zu führen. 14

In der Tat hatte Michail S. Gorbatschow schon als neuer Generalsekretär der KPdSU Zeichen für „neues Denken" auch auf dem Felde der konventionellen Rüstungskontrolle gesetzt. Im Hinblick auf MBFR äußerte er sich - zum Erstaunen meines damaligen sowjetischen MBFR-Kollegen in Wien und zur sichtlichen Verärgerung seines militärischen Beraters - zu Beginn des Jahres 1986 positiv zu der Initiative, mit der wir noch einen Ausweg aus dem Datendilemma finden wollten - eine Schwalbe, die für MBFR keinen Sommer mehr brachte. Bald aber wurde Gorbatschow entschiedener. Als die Konferenz über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen in Stockholm im September 1987 im letzten Augenblick vor Ablauf ihres Mandats an der negativen Haltung der sowjetischen Delegation zur Verifikation zu scheitern drohte, rief Gorbatschow die mit der Sache befassten Minister und Generäle zu einer Krisensitzung zu sich. Vom Leiter der sowjetischen Verhandlungsdelegation in Stockholm gibt es eine anschauliche Schilderung dieser Sitzung 15: Generalstabschef Achromejew lehnte ein Recht auf Inspektionen auf sowjetischem Territorium empört ab. „Man will uns davon überzeugen, dass es im Interesse des Vaterlandes ist, dem Feind unsere Gefechtsbereitschaft zu enthüllen! Das ist ein bewusster Anschlag auf die Sicherheit des Landes, das ist Verrat!" Gorbatschow unterbrach ihn kühl: „Wenn Sie über Sicherheit und Gefechtsbereitschaft sprechen, hören wir Ihnen aufmerksam zu - das ist Ihr Geschäftsbereich. Aber unser Vorrecht ist es, politische Wertungen vorzunehmen, politische Entscheidungen zu treffen und sie dem sowjetischen Volk zu erklären."

Gorbatschow war sich darüber im Klaren, welche Bedeutung der Westen dem Anliegen der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa zumaß. Noch nach der doppelten Nulllösung bei den Mittelstreckenraketen machten die Außenminister der NATO weitere Verhandlungen über Nuklearwaffen von der Herstellung eines konventionellen Gleichgewichts abhängig. Gorbatschow brauchte aber dringend Abrüstungserfolge, um vom Westen als vertrauenswürdiger Partner für den Abbau der Konfrontation anerkannt zu werden, die die Sowjetunion an den Rand des Abgrunds gebracht hatte. Abrüstung sollte, wie er seinen engsten Mitarbeitern erklärte, zur „Lokomotive unserer Außenpolitik der Perestroika" und zum "Schlüssel unseres Verhältnisses zu Westen" werden. 16Und er brauchte schnelle Erfolge: Der Abschwung der sowjetischen Wirtschaft beschleunigte sich so sehr, dass die Versorgung der Bevölkerung mit Konsummitteln kaum mehr sicherzustellen war. Vor dem Politbüro stellte Gorbatschow fest, dass der Rüstungswettlauf „über unsere Kräfte gehe und dass wir ihn verlieren werden, weil wir an der Grenze unserer Möglichkeiten stehen". 17 Vielleicht wäre die Geschichte anders verlaufen, hätte der spätere Boom auf dem globalen Energiemarkt ein paar Jahre früher eingesetzt.

Im April 1986 holte Gorbatschow zum großen Schlag aus. Während eines Besuchs in der DDR ergriff er die Initiative für einen unerwartet neuen Verhandlungsansatz für konventionelle Rüstungskontrolle: Er schlug vor, über die Reduzierung konventioneller Streitkräfte in ganz Europa, „vom Atlantik bis zum Ural", zu verhandeln. Damit nahm er eine alte Forderung de Gaulles auf, die die Sowjets bis dahin für indiskutabel gehalten hatten. Über Reduzierungen in Mitteleuropa war die Sowjetunion bis dahin zu sprechen bereit, nicht aber über Einbeziehung des europäischen Territoriums der Sowjetunion.

Die Außenminister der NATO nahmen Gorbatschows Initiative auf und forderten ihrerseits in ihrer Erklärung von Halifax am 30. Mai 1986 kühne neue Schritte zur konventionellen Rüstungskontrolle. Nach informellen Konsultationen und nach dem üblichen Positionsaustausch auf dem Wege von Schlusskommuniqués einigten sich die Mitgliedsstaaten von NATO und Warschauer Pakt am 10. Januar 1989 in Wien auf Botschafterebene über ein Mandat für Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa. Ziel sollte unter anderem „die Schaffung eines stabilen und sicheren Gleichgewichts der konventionellen Streitkräfte auf niedrigerem Niveau", „die Beseitigung von Ungleichgewichten" und „die Beseitigung der Fähigkeit zu Überraschungsangriffen und großangelegten offensiven Aktionen" sein. Vom 6. bis 8. März 1989 tagte in Wien eine Außenministerkonferenz aller 35 KSZE-Staaten, die Gelegenheit bot, Verhandlungen unter den 23 Mitgliedstaaten der NATO und des Warschauer Pakts über die im Januar vereinbarte Zielsetzung zur konventionellen Rüstungskontrolle, aber auch Verhandlungen im vollen KSZE-Kreis über Vertrauens- und Sicherheitsbildende Maßnahmen (VSBM) zu eröffnen, die bereits die beim Gipfeltreffen der KSZE in Madrid 1983 angenommenen Maßnahmen erweitern und stärken sollten. 18

Beginn der Verhandlungen

Die KSE-Verhandlungen begannen am 9. März 1989 in der Wiener Hofburg. Der Westen setzte - nach den frustrierenden Verhandlungen über Mannschaftsstärken bei MBFR - vor allem auf die Erfassung von Rüstungen. Reduziert werden sollten Waffensysteme, die zu offensiven Aktionen besonders befähigen. Es war ein Arbeitspapier des deutschen Verteidigungsministeriums, das dieses Konzept in die High Level Task Force (HLTF) einführte, dem für die Steuerung der KSE-Verhandlungen eingesetzten und von Vertretern der Hauptstädte besetzten Gremium der NATO. Unsere Position überzeugte auch Medien und Öffentlichkeit: Keine der beiden Seiten sollte mehr als 20.000 Panzer, 16.500 Artilleriegeschütze und 27.000 gepanzerte Kampffahrzeuge haben - Zahlen, die ungefähr 15% unter dem damaligen Niveau der NATO, aber weit unter dem geschätzten Niveau des Warschauer Pakts lagen; in verschiedenen Subregionen innerhalb des gesamten Anwendungsgebiets sollten, um rasche Truppenverstärkungen zur Vorbereitung eines Angriffs zu erschweren, zusätzliche Obergrenzen gelten; kein Land sollte mehr als 30% des Gesamtbestands des jeweiligen Bündnisses haben - die sogenannte Hinlänglichkeitsregel, die natürlich auf die Sowjetunion abzielte. Schließlich schlug der Westen ein wirksames Verifikationssystem unter anderem mit Inspektionen vor Ort ohne Ablehnungsrecht vor.

Im Nachhinein betrachtet, lassen sich in den KSE- Verhandlungen drei Phasen unterscheiden, die von technischen Schwierigkeiten, vor allem aber durch die politischen Rahmenbedingungen höchst unterschiedlich geprägt waren: Der Verhandlungsbeginn fiel in eine Zeit, wo der Westen in Moskau starke und berechenbare Partner fand - die Politik der Perestroika Gorbatschows und die Verständigungspolitik seines Außenministers Eduard Schewardnadse bürgten für konstruktive Weisungen an die Verhandlungsdelegation in Wien. Bald aber sollten sich die politischen Verhältnisse in Moskau komplizieren und destruktive Kräfte, vor allem im Militär, an Einfluss gewinnen. Dann begannen die politischen Umwälzungen in Osteuropa, die Verhandlungen zwischen den beiden Bündnissen immer unrealistischer machten, aber eine Chance zur Regelung der Streitkräftestärken eines vereinigten Deutschlands boten. War schon die Auflösung des Warschauer Pakts eine Herausforderung für die Verhandlungen, musste das Schlimmste befürchtet werden, als die Sowjetunion zerfiel. Dass sich in diesen Umbrüchen die außenpolitisch und militärisch Verantwortlichen unter Wahrung oft gegensätzlicher Interessen immer wieder zu gemeinsamen Lösungen durchringen konnten, muss als diplomatisches Gesamtkunstwerk gewertet werden, das mit glänzenden Vorbildern der europäischen Geschichte durchaus vergleichbar ist.

Es begann mit einem konstruktiven Dialog, wie wir uns ihn nach MBFR kaum mehr vorstellen konnten. Schon in der ersten Verhandlungsrunde übernahm der Warschauer Pakt die vom Westen vorgeschlagene Konzentration auf Panzer, gepanzerte Kampffahrzeuge und Artillerie, bestand jedoch auf der zusätzlichen Einbeziehung von Kampfflugzeugen, Kampfhubschraubern und Militärpersonal. Der Westen ging schnell darauf ein: Am 30 Mai 1989 unterbreitete Präsident George Bush beim NATO-Gipfel in Brüssel eine Initiative, die die Forderung nach Einbeziehung von Kampfflugzeugen und Kampfhubschraubern berücksichtigte und gleiche Obergrenzen von 275.000 Mann für Personal der amerikanischen und sowjetischen Land- und Luftstreitkräfte anbot, das in Europa außerhalb des eigenen Territoriums stationiert war. Darüber hinaus schlug Bush vor, die Verhandlungen mit dem Ziel eines Ergebnisses in sechs bis zwölf Monaten zu beschleunigen und die Reduzierungen in etwa drei Jahren zu vollziehen.

Nach den eindrucksvollen Durchbrüchen im Konzeptionellen traten die Verhandlungen dann in eine zweite Phase, die den Unterhändlern in Wien einige Runden intensiver Verhandlungsarbeit brachte. Zunächst wurden zwei Arbeitsgruppen eingesetzt, deren erste Definitionen und Zählregeln für die erfassten Waffensysteme, aber auch Verifikationsinstrumente und Regeln für den Informationsaustausch erarbeiten sollte; die zweite Arbeitsgruppe sollte Maßnahmen zur Reduzierung und Begrenzung, einschließlich der Obergrenzen und Zwischenobergrenzen, beraten. Bald verlagerte sich der Schwerpunkt der Verhandlungen aber zur informellen Arbeit in zahlreichen Kontaktgruppen und zu Abstimmungen zwischen Delegationsleitern und kompetenten Mitarbeitern. Dabei spielte neben dem amerikanischen Delegationsleiter James Woolsey (später Chef des CIA) und dem sowjetischen Delegationsleiter Oleg Grinjewskij der deutsche Botschafter Rüdiger Hartmann eine maßgebliche Rolle. 19 Sehr mühsam erwiesen sich die Bemühungen um die Definition der vom Vertrag erfassten Waffensysteme, denn davon hing der Umfang und die Nachhaltigkeit der zu vereinbarenden Reduzierungen und Begrenzungen maßgeblich ab. Beide Seiten konzentrierten sich auf diejenigen Systeme, in denen sie die Stärken der Gegenseite sahen. Dem Westen ging es vor allem um Panzer und gepanzerte Gefechtsfahrzeuge, dem Osten um taktische Kampfflugzeuge, wo er nicht nur eine westliche Überlegenheit sah, sondern auch in die Struktur der taktisch-nuklearen Streitkräfte der NATO eingreifen wollte. Mit der Einigung über die Definition der Artilleriewaffen und einer grundsätzlichen Verständigung über die Behandlung vertragsbegrenzten Geräts in Depots erzielten die Unterhändler im Oktober 1989 ein erstes Ergebnis. Die umfangreiche Thematik des Verifikationsregimes wurde in informellen Kontakten nicht nur zwischen Ost und West, sondern auch innerhalb der westlichen Gruppe strittig behandelt.

Während die KSE-Unterhändler mühsame Fortschritte in diesen Fragen erzielten, veränderte sich draußen die Welt. Die KSE-Verhandlungen wurden von den radikalen Umbrüchen der europäischen Sicherheitsstrukturen in ihren Grundansätzen erschüttert, waren sie doch, obgleich in der gesamteuropäischen KSZE verankert, als Verhandlungen zwischen den beiden Militärbündnissen konzipiert worden; es ging um den Abbau der Ost-West-Konfrontation und das militärische Gleichgewicht zwischen NATO und Warschauer Pakt. Mit den politischen Umwälzungen in den osteuropäischen Ländern entfiel mehr und mehr die Geschäftsgrundlage für diesen Ansatz.

Die Entwicklung in Deutschland

Die gefährlichste Sprengkraft ergab sich aus der Entwicklung in Deutschland. Dass sich die sowjetische Führung einer Wiedervereinigung verweigern würde, war lange Zeit allgemeine Erwartung - und in manchen westeuropäischen Hauptstädten unverhohlene Hoffnung. Noch Ende 1989 hielt Gorbatschow gelassen daran fest, dass über die deutsche Einigung die Geschichte entscheiden werde. Aber dann schritt die Geschichte mit unvorstellbarem Tempo voran. Der damalige amerikanische Präsident Bush bemerkte jüngst, die Politiker hätten nur noch auf das reagieren können, was die Bürger auf den Straßen von Berlin und Leipzig forderten. Tatsächlich setzte die innere Entwicklung in der DDR alle Beteiligten in „Zeitnot", um das Beste für sich herauszuholen oder zumindest den Schaden zu begrenzen. 20

Das galt in besonderem Maße für die deutsche Bundesregierung und ihren wichtigsten und verlässlichsten Partner, die Administration in Washington. Bewusst setzten sie sich und die europäische Staatengemeinschaft unter Zeitdruck, um den unaufhaltsamen inneren Prozess zur Einheit mit der Erlangung der Souveränität für das vereinigte Deutschland zu synchronisieren: Die Ergebnisse des 2+4=Prozesses über die Regelung der äußeren Fragen der deutschen Einigung sollten noch vor Ende des Jahres 1991 der KSZE-Konferenz in Paris vorgelegt werden. Da die VKSE-Teilnehmer sich dem Vorschlag des amerikanischen Präsidenten angeschlossen hatten, bis Ende des Jahres ein Verhandlungsergebnis zu erarbeiten, wurden die Wiener Verhandlungen in diesen Druck direkt einbezogen. Ohne KSE-Vertrag und ohne Herstellung der Souveränität für ein vereinigtes Deutschland würde es keine KSZE-Gipfelkonferenz geben, die die Wende mit einer Charta für ein neues Europa besiegeln sollte.

In der sowjetischen Führung hatte man zunächst darauf gedrängt, die Entwicklung in Deutschland unter den Vier Mächten, die seit Potsdam die Verantwortung für Deutschland Ganzes beanspruchten, unter Kontrolle zu bringen - eine Präferenz, die in London und Paris durchaus auf Verständnis stieß. Einige Konservative in Moskau dachten gar an einen Friedensvertrag à la Versailles mit der Möglichkeit, „aus Deutschland gigantische Reparationen herauszuholen", wie sich der damalige sowjetische Botschafter in Bonn erinnert.21 Aber Gorbatschow hatte andere Prioritäten. Er wollte die radikale Umgestaltung des mitteleuropäischen Herrschaftsbereichs der Sowjetunion, wenn sie schon unumgänglich war, in seine Vision eines Ausgleichs mit dem Westen und der Eingliederung der Sowjetunion in eine demokratische Welt einordnen. Einerseits war die Herrschaft über die Hälfte Deutschlands eine der wichtigsten Errungenschaften der sowjetischen Politik des letzten halben Jahrhunderts. Andererseits wusste Gorbatschow, dass er mit einer Verweigerungshaltung gegenüber Bush und Kohl - auf die er große Erwartungen setzte - den Rückhalt verlieren würde und dass bei einem Scheitern der KSE-Verhandlungen,des größten Rüstungskontrollvorhabens der Geschichte, ein neuer Kalten Krieg drohte. Aber nicht nur die Politik des Ausgleichs stand auf dem Spiel, sondern das Überleben der Sowjetunion. Obgleich Informationen darüber nur spärlich durchdrangen, war den Verantwortlichen zumindest in Bonn klar, dass die sowjetische Wirtschaft am Abgrund stand und auf unverzügliche westliche Hilfe verzweifelt angewiesen war.

Und so rang sich Gorbatschow mehr und mehr dazu durch, den für die Zusammenarbeit mit dem Westen erforderlichen Preis zu zahlen und seine darauf gerichtete Politik in Moskau - in wechselnden und zuweilen verwirrenden Koalitionen - durchzusetzen. Im Parteiapparat, im Außenministerium, in den Instituten und Medien fand er Befürworter der deutschen Einheit, notfalls sogar in der NATO, musste sich aber auch mit der „Germanistenfraktion" auseinandersetzen, die Deutschland neutralisieren wollte, und vor allem mit der orthodoxen „Betonfraktion" , die jede Veränderung ablehnte. 22 Wahrscheinlich wäre er gescheitert, wenn ihn seine westlichen Partner überfordert hätten, statt ihre Erwartungen und Schachzüge einfühlsam der absehbaren Entwicklung anzupassen. Hier gab vor allem Hans-Dietrich Genscher in geschicktem Zusammenspiel mit seinem amerikanischen Kollegen James Baker den Ton vor, auch wenn ihm seine Kritiker zuweilen vorzeitige Nachgiebigkeit vorwarfen.

Eine der Kernfragen der deutschen Vereinigung war die Begrenzung der Streitkräfte des vereinigten Deutschlands. Innerhalb der Bundesregierung bestand - auch wenn sich Auswärtiges Amt und Verteidigungsministerium über die annehmbare Höchststärke lange Zeit nicht einig waren - Einvernehmen, dass diesem Anliegen der Sowjetunion Rechnung getragen werden musste. Die Frage war nur: Wie? Für Genscher und das Auswärtige Amt war diese Frage viel wichtiger als der Umfang künftiger deutscher Streitkräfte. Die Festlegung einer Begrenzung im Rahmen eines 2+4-Abkommens zur Regelung der äußeren Aspekte der deutschen Vereinigung, wie von der Sowjetunion lange gefordert, wäre einer friedensvertraglichen Regelung gleichgekommen und hätte Deutschland in der europäischen Staatengemeinschaft singularisiert: Als einziges europäisches Land wäre Deutschland mehr als ein halbes Jahrhundert nach Ende des Zweiten Weltkriegs einer völkerrechtlichen Begrenzung seiner Streitkräfte unterworfen worden. Deshalb drängten wir auf eine Regelung der Frage parallel zum 2+4-Prozess, nämlich in den KSE-Verhandlungen, an denen beide deutsche Staaten zusammen mit den Mitgliedstaaten der beiden Militärbündnisse gleichberechtigt teilnahmen. In Wien ging es schließlich um die vertragliche Begrenzung konventioneller Streitkräfte aller Teilnehmer.

Das Problem war allerdings, dass gemäß vereinbartem Mandat in der laufenden ersten Phase der VKSE nur über Waffensysteme verhandelt werden konnte, nicht aber über Personalumfänge der Streitkräfte, die erst in einer zweiten Phase Gegenstand der Verhandlungen werden sollten. Was die Waffensysteme betraf, ließ sich eine vertragsrechtlich verhältnismäßig einfache Lösung für das deutsche Problem finden: Falls die Bundesrepublik Deutschland noch vor dem Inkrafttreten des KSE-Vertrags die Nationale Volksarmee der DDR mitsamt ihrer Ausrüstung sozusagen „erben" sollte, musste sie ihre neuen Gesamtbestände auf den Stand abbauen, den sie zu Beginn der Verhandlungen als für die westdeutsche Seite verbindliche Anteilshöchstgrenze übernommen hatte. Schon damit trug das vereinte Deutschland den höchsten Reduzierungsanteil aller VKSE-Staaten.

Aber diese vertragsimmanente Begrenzung der erfassten Rüstungskategorien war politisch nicht ausreichend. Um die Widerstände in Moskau gegen ein vereintes Deutschland in der NATO zu überwinden (und Erwartungen auch anderswo zu entsprechen), musste eine Begrenzung des deutschen Streitkräfteumfangs in Mannschaftszahlen gefunden werden. Für Verhandlungen über Personalumfänge aller VKSE-Teilnehmer, in die auch Deutschland eingebunden würde, hätte es aber einer Erweiterung des Verhandlungsmandats bedurft, die wegen der überall gefühlten „Zeitnot" nicht mehr ernsthaft in Betracht gezogen werden konnte. Wie also konnte man eine Lösung finden, die die Balance wahrte zwischen einer für Moskau hinreichenden Form der Begrenzung der deutschen Streitkräfte und unserem Widerstand gegen eine völkerrechtliche Sonderregelung für Deutschland? Im Auswärtigen Amt wurde zunächst eine Formel erwogen, die schon in einen ersten KSE-Vertrag aufgenommen werden sollte: In der zentralen Zone, die nach dem verhandelten Vertragsentwurf Großbritannien, Frankreich, Italien, die beiden deutschen Staaten, Polen, die Tschechoslowakei und die westlichen Militärbezirke der Sowjetunion umfasste, sollte kein Land mehr als 400.000 Mann unterhalten. In Washington stieß diese Idee jedoch auf Ablehnung. Sicherheitsberater Scowcroft, mit dem ich die Frage besprach, befürchtete, dass die Verhandlung über einen für die Sowjets schwierigen Ergänzungsvorschlag zu dem bereits weit fortgeschrittenen Vertragsentwurf die KSE-Verhandlungen in eine Sackgasse führen und die KSZE-Gipfelkonferenz in Paris gefährden könnte, auf der der KSE-Vertrag unterzeichnet werden sollte. Außenminister Baker und Verteidigungsminister Cheney schlossen sich den Bedenken an. Besonders engagierte sich in dieser Frage Condoleezza Rice, damals Mitglied des Sicherheitsrats. Sie befürchtete, dass ein scheinbar nur technischer Rüstungskontrollvorschlag gewaltige politische Implikationen haben könnte, denn eine Sackgasse in den KSE-Verhandlungen hätte den Zeitplan für die Pariser Gipfelkonferenz und damit für die deutsche Vereinigung gefährden können. 23

Aber noch blieb ein Ausweg: Deutschland konnte sich schon jetzt zu nationalen Höchststärken verpflichten, wenn die anderen KSE-Teilnehmer sich ihrerseits verpflichteten, in der zweiten Phase der KSE ebensolche Höchststärken auf sich zu nehmen; erst dann sollte die deutsche Verpflichtung rechtsverbindlich werden. Beim Treffen der NATO-Außenminister in Turnberry am 7./8. Mai 1990 legte ich dieses Konzept auf persönlicher Basis, aber mit Zustimmung Genschers, den engsten Verbündeten vor. Besonders in Washington stieß es auf großes Interesse. Präsident Bush sprach den Bundeskanzler bei dessen Besuch Anfang Juni darauf an und wunderte sich, dass Kohl den „Holik-Plan" nicht kannte und sich für den Vorschlag seines eigenen Abrüstungsbeauftragten nicht sonderlich interessierte. 24 Nach dem Gespräch mit Bush stimmte Kohl dem Vorschlag aber zu, und wir setzten ihn in der NATO und im 2+4-Rahmen durch. Nachdem beim Treffen des Bundeskanzlers mit Gorbatschow im Kaukasus am 16. Juli 1990 Einigung über den Umfang der deutschen Streitkräfte erzielt wurde, erfolgte die Ausführung in den vorgesehenen drei Schritten:

1. Außenminister Genscher gab am 30. August 1990 vor dem Plenum der KSE-Verhandlungen folgende Erklärung ab, zu der der gleichfalls anwesende Ministerpräsident und Außenminister der DDR, Lothar de Maizière, seine Zustimmung erklärte:

- „Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland verpflichtet sich, die Streitkräfte des vereinten Deutschlands innerhalb von drei bis vier Jahren auf eine Personalstärke von 370.000 Mann (Land-, Luft- und Seestreitkräfte) zu reduzieren. Diese Reduzierung soll mit dem Inkrafttreten des ersten KSE-Vertrags beginnen."

- „Im Rahmen dieser Gesamtobergrenze werden nicht mehr als 345.000 Mann den Land- und Luftstreitkräften angehören, die gemäß vereinbartem Mandat allein Gegenstand der Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa sind." 25

- „Die Bundesregierung sieht in ihrer Verpflichtung zur Reduzierung von Land- und Luftstreitkräften einen bedeutsamen deutsche Beitrag zur Reduzierung der konventionellen Streitkräfte in Europa. Sie geht davon aus, dass in Folgeverhandlungen auch die anderen Verhandlungsteilnehmer ihren Beitrag zur Festigung von Sicherheit und Stabilität in Europa, einschließlich Maßnahmen zur Begrenzung der Personalstärken, leisten werden." 26

2. In Artikel XVII des KSE-Vertrags wurden Folgeverhandlungen mit dem Ziel vereinbart, ein Übereinkommen unter anderem über die Begrenzung der Personalstärken aller Teilnehmer zu schließen.

3. In einer den KSE-Vertrag begleitenden politischen Erklärung verpflichteten sich alle Vertragsstaaten, für die Dauer dieser Verhandlungen den Personalumfang ihrer Streitkräfte nicht zu erhöhen.

Die vereinbarten Folgeverhandlungen über Mannschaftsstärken begannen unverzüglich nach Unterzeichnung des KSE-Vertrags, und bereits auf dem KSZE-Gipfel von Helsinki wurde am 10. Juli 1992 die „Abschließende Akte der Verhandlungen über Personalstärken der Konventionellen Streitkräfte in Europa" verabschiedet, in der sich alle KSE-Teilnehmer zu Begrenzungen ihres Streitkräfteumfangs verpflichteten. Damit war das sowohl für die KSE-Verhandlungen wie für den Vereinigungsprozess explosive Problem der Begrenzung der Streitkräfte des vereinigten Deutschland optimal gelöst, und Deutschland war nicht singularisiert. Der tatsächliche Umfang der Begrenzungen war im Übrigen eine Frage von abnehmender militärischer und politischer Relevanz. 27

Zeitnot in Wien: Die Zeichnung des Vertrags

Die deutsche Frage war aber nicht das einzige Problem, das sich aus den Veränderungen im Osten Europas für die KSE-Verhandlungen ergab. Während die Bemühungen um eine Regelung für Deutschland noch andauerten, einigte sich die Sowjetunion mit Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn über den vollständigen Rückzug ihrer Truppen, und der Warschauer Pakt löste sich auf. Der Streitkräftebedarf seiner nicht-sowjetischen Mitgliedstaaten bestimmte sich jetzt nicht mehr nach ihrem Beitrag zum Bündnis mit der UdSSR, sondern nach ihrer eigenen Einschätzung nationalen Sicherheitsinteressen, und übertraf in der Summe die zuvor intern festgelegten nationalen Höchststärken an der kollektiven Quote für den Warschauer Pakt. Andererseits schuf der Wegfall des Anteils der Nationalen Volksarmee der DDR an der vorgesehenen Gesamtstärke für die anderen Spielraum nach oben. Am 3. November 1990 einigten sich die früheren Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts in Budapest auf eine neue Aufteilung der östlichen Gesamtquote - zu Lasten der Sowjetunion, für deren politische Führung das kein vorrangiges Problem mehr war.

Die sowjetischen Militärs dagegen, die die KSE-Verhandlungen von Anfang an mit Skepsis begleitet hatten, sollten in der Schlussphase der Verhandlungen reichlich Gelegenheit erhalten, ihre Obstruktion umzusetzen. Obwohl viele jüngere Offiziere inzwischen Qualität für wichtiger hielten als Quantität, über defensive Strukturen nachdachten und intern Modelle asymmetrischer Reduzierungen prüften, opponierte die oberste Armeeführung bis zum Schluss gegen größere Verminderungen ihrer Streitkräfte. 28 In den für die KSE- Verhandlungen maßgeblichen ersten beiden Jahren konnten sich Gorbatschow und sein Außenminister Schewardnadse mit ihrem Drängen auf Überwindung „alten Denkens" durchsetzen. Je schwieriger Gorbatschows Machtposition in Moskau aber wurde, umso stärker sollten die Karten der Militärs werden. In Gesprächen mit seinen deutschen Kollegen beklagte Generalstabschef Moisejew offen, dass Außenminister Schewardnadse in den KSE-Verhandlungen zu viele Zugeständnisse gemacht und zu wenige Gegenleistungen erreicht habe. Im internen Abstimmungsprozess in Moskau verhinderten die Militärs immer häufiger Weisungen, sodass die sowjetische Delegation in Wien zeitweise handlungsunfähig war.

In Wien traten deshalb im zweiten Halbjahr 1990 die Gespräche über die Definition von Panzern und gepanzerten Gefechtsfahrzeugen, erst recht für Kampfflugzeuge und Kampfhubschrauber auf der Stelle. Sie konnten erst abgeschlossen werden, nachdem die Außenminister Baker und Schewardnadse bei ihren Gesprächen am Rande der UN-Vollversammlung in New York am 1. und 2. Oktober 1990 - vorbehaltlich der Zustimmung ihrer Partner - einen Kompromiss erzielt hatten. In ihrem Gespräch erreichten die beiden Außenminister auch für umstrittene Verifikationsfragen einen grundsätzlichen Kompromiss, der in Wien nur noch in Einzelaspekten ausgefüllt werden musste. Dabei schälten sich jedoch weitere lösungsbedürftige Fragen heraus, namentlich bei der Verifikation und beim Gerät der Marineinfanterie. Es bedurfte einer weiteren amerikanisch-sowjetischen Ministerrunde am 8./9. November in Moskau, in der - weil Außenminister Schewardnadse sich offenbar nicht mehr durchsetzen konnte - Generalstabschef Moissejew für die sowjetische Seite auftrat. Aus Moskau reisten die beiden Delegationen mit einem praktisch vollständigen Vertragsentwurf in Wien an, der von den anderen Delegationen nur noch gebilligt werden konnte, wollte man nicht die Verantwortung für die Gefährdung des unmittelbar bevorstehenden Pariser Gipfeltreffens übernehmen. Am 18. November wurden der KSE-Vertrag durch die Delegationsleiter in Wien paraphiert, sodass, wie vorgesehen, die Regierungschefs und Außenminister den Vertrag beim KSZE-Gipfeltreffen in Paris am 19. November zeichnen konnten. Zwei Tage später verabschiedeten sie dann die „Charta von Paris für ein neues Europa".

Der KSE-Vertrag, wie er in Paris unterzeichnet wurde, entsprach weitgehend den Erwartungen, die wir schon zu Beginn der Verhandlungen vorgestellt hatten:

- Er begrenzt innerhalb des vom Mandat im einzelnen festgelegten Anwendungsgebiets vom Atlantik bis zum Ural fünf Waffensysteme, die militärische Offensivfähigkeit maßgeblich begründen. Für diese fünf präzise definierten Waffensysteme werden für die 16 westlichen und sechs östlichen Vertragsstaaten jeweils gleiche gemeinsame Obergrenzen festgelegt: 20.000 Kampfpanzer, 30.000 gepanzerte Kampffahrzeuge, 20.000 Artilleriegeschütze, 6.800 Kampfflugzeuge und 2.000 Angriffshubschrauber. Die kollektiven Obergrenzen werden auf nationale Anteilshöchstgrenzen aufgeteilt, die grundsätzlich nicht überschritten werden dürfen.

- Kein einzelner Vertragsstaat darf im Anwendungsgebiet mehr als 13.000 Kampfpanzer, 20.000 gepanzerte Kampffahrzeuge, 13.700 Artilleriewaffen, 5.150 Kampfflugzeuge und 1.500 Angriffshubschrauber besitzen.

- Das Anwendungsgebiet wird, von Gesamteuropa ausgehend, in drei sich nach innen verkleinernde Teilregionen sowie gesondert behandelte Flankenregionen mit jeweiligen Höchststärken eingeteilt.

- Bei Inkrafttreten des Vertrags notifiziert jeder Vertragsstaat seine Reduzierungsverpflichtung, die sich grundsätzlich aus dem Überschuss der am Anfang notifizierten Bestände über den nationalen Anteilshöchstbetrag errechnet. Die Reduzierung erfolgt nach einem im Einzelnen festgelegten Verfahren, in der Regel durch Zerstörung.

- Das Verifikationssystem basiert auf einem umfassenden Informationsaustausch und dem Recht, Inspektionen vor Ort durchzuführen.

Der Streit um die Vertragsauslegung

Nach der gefeierten Unterzeichnung setzte aber schon bald ein erbitterter Streit über die Auslegung des KSE-Vertrags ein, der es unsicher erscheinen ließ, ob er je in Kraft treten würde. Die westlichen Partner warfen der Sowjetunion grobe Versuche der Umgehung des Vertrags vor und weigerten sich, ihn ihren Parlamenten zur Ratifizierung vorzulegen. Die Ernüchterung begann, als die Teilnehmerstaaten ihre Streitkräftedaten am Vorabend der Unterzeichnung auf den Tisch legten. Dabei gab es für den Westen eine böse Überraschung. Bei Durchsicht der sowjetischen Daten fiel auf,

- dass das Gerät von 3 Küstenschutzdivisionen und 4 Regimentern der Marineinfanterie sowie die Mannschaftstransportwagen der Strategischen Raketentruppen so gemeldet waren, dass sie nicht unter die vertraglichen Begrenzungen fallen sollten.

- dass die Zahl der gemeldeten Verifikationsobjekte überraschend niedrig war.

Darüber hinaus lagen die gemeldeten Waffen und Ausrüstungen der sowjetischen Armee im Anwendungsgebiet des Vertrages um fast 60.000 unter den westlichen Einschätzungen. Tausende von schweren Waffen waren, um sie der vertraglich vorgesehenen Zerstörung zu entziehen, in den asiatischen Teil der Sowjetunion verlagert worden.

Die Administration in Washington machte bald aus der Auslegungsfrage einen politischen Grundsatzstreit und legte größten Wert auf eine geschlossene Haltung aller Bündnispartner in dieser Frage. Überlegungen über Kompromisse würden, so die Amerikaner, nur denjenigen Kräften in Moskau in die Hände spielen, die den KSE-Prozess und darüber hinaus die Wende in Europa untergraben wollten. Dafür gab es zwar Hinweise, aber wichtiger erschien uns in Bonn damals, dass bei einem Scheitern der Versuche, den KSE-Vertrag doch noch zu retten, die Tage Gorbatschows gezählt wären. Wichtiger als der Streit um die Interpretation eines Vertrags war der Versuch konservativer und militärischer Kreise in Moskau, den Vertrag nachträglich zu revidieren oder sogar scheitern zu lassen, und damit die ganze Außenpolitik Gorbatschows und Schewardnadses zu Fall zu bringen. Dabei trugen die Amerikaner durchaus Mitschuld an dem Auslegungsstreit: Ohne den von Washington in der Schlussphase der Verhandlungen betriebenen amerikanisch-sowjetischen Bilateralismus wäre der Schaden leichter zu begrenzen gewesen: Hätten die VKSE-Arbeitsgruppen in Wien noch Zeit gehabt, die von amerikanischen und sowjetischen Experten erarbeiteten Ergebnisse detailliert zu erörtern, hätte sich ein Dissens im Hinblick auf einzelne sowjetische Daten rechtzeitig herausstellen müssen. 29

Obgleich wir ein besonderes nationales Interesse an einer einvernehmlichen Lösung des Streits haben mussten, um den KSE-Vertrag als wichtigen Schritt auf dem Weg zur deutschen Einheit nicht zu gefährden, war die deutsche Position in der Auseinandersetzung mit den Sowjets in der Sache stets loyal und deckungsgleich mit der amerikanischen. In Washington gab es gab es allerdings diesbezüglich gelegentlich Zweifel: Am 28. Februar 1991, als ich in Begleitung Außenminister Genschers im Flugzeug nach Washington saß, unternahm die amerikanische Botschaft in Bonn eine groteske Demarche im Auswärtigen Amt und im Bundeskanzleramt, um dagegen zu protestieren, dass ein hoher deutscher Beamter („senior German official") mit dem sowjetischen Verhandlungsleiter in Wien einen Kompromissvorschlag zur Artikel III-Problematik erörtert habe. In Wirklichkeit hatte ich am 26. Februar 1991 unsere Vorstellungen offen mit dem amerikanischen Delegationsleiter Woolsey, nicht aber in einem späteren Gespräch mit seinem sowjetischen Kollegen Grinjewskij erörtert. In meinen Gesprächen mit den Sowjets war ich im Gegenteil in dieser Frage bis dahin so klar und kompromisslos gewesen, dass mir Sergej Tarasenko, Leiter des Planungsstabs und engster Mitarbeiter Schewardnadses, vorwarf, wir würden den Sowjets erst trauen, wenn sie sich nackt vor uns hinlegten. 30

Das war am Rande der Unterzeichnung des 2+4-Vertrags in Moskau am 12. September 1990. Auch noch beim Besuch Bundesminister Genschers in Moskau am 17./18. März 1991, wo ich mit Vizeaußenminister Karpow im Auftrag der Minister Lösungsmöglichkeiten ausloten sollte, hielt ich an den in der NATO festgelegten Positionen fest, und wir erreichten keinerlei Fortschritte. Danach aber rief mich - ein damals noch ziemlich ungewöhnlicher Vorgang - Karpow zu Hause an, um nochmals für ein großzügiges Herangehen an die Probleme mit den sowjetischen Militärs zu werben. Er machte mich darauf aufmerksam, dass die sowjetische Armee schon jetzt in allen vom KSE-Vertrag erfassten Waffenkategorien ein markantes Untergewicht gegenüber der NATO erreicht habe und dass ihre Zukunft in den Sternen stehe: „Kommt eh nicht mehr drauf an." Ich war von Karpows Argumenten beeindruckt. In den nächsten Wochen unterstützte ich nachhaltig alle Bemühungen um eine Kompromisslösung. Wo immer sich die Gelegenheit bot, warnte ich davor, dass eine rigorose Politik der Bestrafung Moskaus für das Verhalten seiner Militärs leicht zur Destabilisierung der politischen Verhältnisse in Moskau führen könne. Diese Einsicht setzte sich auch in Washington durch und führte zur Intensivierung der Bemühungen um einen Kompromiss. Nach einem Briefwechsel zwischen Gorbatschow und Bush vom 22. März/8. April 1991 wurden die noch offenen Punkte in Gesprächen gelöst, die Generalstabschef Moisejew in Washington, die Außenminister Baker und sein neuer sowjetischer Kollege Alexander A. Bessmertnych 31 in Lissabon und schließlich die Delegationsleiter aller Verhandlungsteilnehmer in Wien führten. Die Formalisierung erfolgte auf einer Außerordentlichen Konferenz der KSE-Staaten am 14. Juni 1991 in Wien.

Die Sowjetunion gab unter anderem folgende Zusagen:

- Eine rechtlich bindende Erklärung (aber außerhalb des KSE-Vertrags) über das vom Vertrag umfasste Gerät in den Küstenschutzdivisionen, den Regimentern der Marineinfanterie und bei den Strategischen Raketentruppen, das de facto den Begrenzungen des Vertrags unterworfen wird: Die Sowjetunion verpflichtet sich, bei den Land- und Luftstreitkräften entsprechend weniger Gerät zu unterhalten.

- Das Gerät der Strategischen Raketentruppen wird als Gerät von Einheiten der inneren Sicherheit eingeordnet und fällt damit nicht unter die Obergrenzen.

- Hinsichtlich des jenseits des Urals verbrachten Geräts wird die Zusage gegeben, dass es nicht zur Schaffung einer strategischen Reserve oder von neuen operativen Gruppierungen genutzt wird. Mit dieser Einigung sahen die westlichen Teilnehmerstaaten die Voraussetzungen für die Ratifikation gegeben, und der Vertrag konnte endlich am 9. November 1992 in Kraft treten.

Die Auflösung der Sowjetunion

Inzwischen hatte sich die Welt aber wieder radikal verändert. Wenn schon die Auflösung des Warschauer Pakts die Grundlagen erschütterte, auf denen der KSE-Vertrag aufbaute, musste das Schlimmste befürchtet werden, als die Sowjetunion selbst zerfiel. Würde in der sich neu bildenden Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) überhaupt noch jemand zu finden sein, der den KSE-Vertrag - wie übrigens auch den amerikanisch-sowjetischen START-Vertrag - noch ratifizieren konnte? Welche Rolle sollte ihm unter den auseinander strebenden neuen Republiken zukommen?

Gottlob hatten die Führer der meisten europäischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein Eigeninteresse an der Erhaltung des KSE-Vertrags, den sie als stabilisierendes Element in einer unruhigen politischen Entwicklung sahen. Die für den Warschauer Pakt und für die Sowjetunion ausgehandelten vertraglichen Begrenzungen konventioneller Waffensysteme schufen fassbare Quoten militärischer Macht, die - ähnlich wie nach der Auflösung des Warschauer Pakts unter den früheren Bündnispartnern - auch nach Auflösung der Sowjetunion unter deren Nachfolgestaaten aufgeteilt werden konnten. Vom KSE-Vertrag betroffen waren neben Russland die Ukraine, Weißrussland, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien, Georgien und (mit einem kleinen Landzipfel) Kasachstan. In Brüssel sagten sie zu, die Verpflichtungen der UdSSR, einschließlich der festgelegten nationalen Höchststärken, untereinander aufzuteilen. Die einzige Ausnahme bildeten die baltischen Staaten, die im September 1991 ihre Unabhängigkeit erlangten, bevor die UdSSR formell aufgelöst wurde. Am 18. Oktober 1991 vereinbarte die Gemeinsame Beratungsgruppe des KSE-Vertrags, dass Estland, Lettland und Litauen nicht mehr in den Anwendungsbereich des Vertrags fallen sollten; vom KSE-Vertrag erfasstes Gerät der Sowjetunion, das sich noch auf ihrem Territorium befand, sollte jedoch weiterhin dem Vertrag unterliegen. Alle anderen früheren Mitgliedstaaten der UdSSR einigten sich - auch auf amerikanisches Drängen - am Rande eines Gipfeltreffens der GUS in Taschkent am 15. Mai 1992 konkret über die Aufteilung ihrer Rechte und Pflichten. Auf dieser Grundlage wurden die Nachfolgestaaten der UdSSR mit dem Schlussdokument der Außerordentlichen Konferenz der KSE-Staaten in Oslo am 5. Juni 1992 auch völkerrechtlich in das KSE-Regime eingebunden.

Obgleich der KSE-Vertrag in seiner 1990 beschlossenen Form nach Inkrafttreten erfolgreich implementiert wurde, drängte Russland bald auf Verhandlungen über eine Anpassung an die neuen Verhältnisse im Osten Europas. Am Rande des KSZE-Gipfeltreffens von Istanbul wurde 1999 ein Anpassungsvertrag vereinbart, der vor allem durchgehend nationale Obergrenzen für die erfassten Waffensysteme rechtsverbindlich vorsah und der die im ersten Vertrag vorgesehenen Vorkehrungen gegen destabilisierende Streitkräftekonzentrationen zugunsten Russlands lockerte. Während Russland, die Ukraine, Weißrussland und Kasachstan den Anpassungsvertrag ratifizierten, machten die NATO-Staaten ihre Ratifizierung von der Erfüllung russischer Zusagen abhängig, die am Rande der Unterzeichnung des Anpassungsvertrags in Istanbul gegeben wurden: In der Schlussakte der Konferenz der Teilnehmerstaaten des KSE-Vertrags hatte Russland nämlich seine Absicht erklärt, seine in Georgien und in Transnistrien stationierten Truppen abzuziehen.

Da Russland diese Zusagen nicht einhielt, verweigerten die NATO-Staaten die Ratifizierung des neuen Vertrags. Wladimir Putin warf der NATO - nicht ganz zu Unrecht - vor, Nebenfragen als Vorwand für ein Abgehen von den Prinzipien des KSE-Vertrags zu missbrauchen, aber ihre früheren Versprechungen, keine Truppen nahe an Russlands Grenzen zu verlegen, gröblich zu verletzen. Mit Zustimmung der Duma setzte er die Anwendung des KSE-Vertrags unter Berufung auf „außerordentliche Umstände, die die Sicherheit Russlands betreffen und unaufschiebbare Maßnahmen erforderlich machen" aus.

Alle Bemühungen um einen vernünftigen Kompromiss, bei denen sich vor allem die deutsche Diplomatie engagierte, erbrachten keine Lösung. Die meisten NATO-Partner bringen heute für die Bewahrung des KSE-Regimes viel weniger Enthusiasmus auf als zur Zeit der Verhandlungen über den Vertrag, als es noch darum ging, die konventionelle Übermacht des Warschauer Pakts in Europa auf dem Wege der Rüstungskontrolle zu neutralisieren. Auch in der schwierigen Übergangszeit, nach der Wende in Europa, war der KSE-Vertrag ein von allen geschätztes Abrüstungsprogramm und gleichzeitig ein Regelwerk zur Kontrolle der in Europa verbliebenen konventionellen Rüstung. Heute ist konventionelle Rüstungskontrolle in Europa wenig gefragt, sie hat sich scheinbar selbst überflüssig gemacht. Ob die neue Furcht vor einem neuen Kalten Krieg daran etwas ändert?

Umso wichtiger ist es, an die historische Rolle zu erinnern, die Rüstungskontrolle und Abrüstung der konventionellen Streitkräfte bei der Überwindung des Kalten Kriegs spielten. Begonnen hatte es in den frühen Siebzigerjahren - in der Hoffnung auf Wandel durch Annäherung - mit MBFR, ersten Bemühungen um bescheidene Truppenreduzierungen zwischen NATO und Warschauer Pakt. Sie scheiterten damals an der mangelnden Bereitschaft der Sowjetunion, ihre konventionelle Überlegenheit aufzugeben. Dann aber erbrachten die KSE-Verhandlungen die sowjetische Bereitschaft, konventionelles Gleichgewicht in Europa herzustellen, und machten die „Charta von Paris für ein neues Europa" möglich. Die Annäherung zwischen Ost und West war durch den Wandel in der Sowjetunion und in Osteuropa möglich geworden, der Epochenwechsel durch die Veränderung der politischen Grundlagen. Der KSE-Vertrag war ein wichtiger Baustein für die friedliche Wende in Europa und damit - nicht nur, weil er auch die Streitkräftestärken für ein vereintes Deutschland festlegte - für die deutsche Einheit. Hans-Dietrich Genscher, nicht immer begeisterter Anhänger der Rüstungskontrolle, hatte schon früh in der Abrüstung einen wichtigen Weg zur Einheit Deutschlands und Europas erkannt.

  • 1. Vladislav M. Zubok, A Failed Empire – the Soviet Union in the Cold War between Stalin and Gorbachev, Chapel Hill/NC 2007, S. 326.
  • 2. Oleg A. Grinjewskij, The Story behind the Picture. In: Newsweek, 22.11.1993, S. 11.
  • 3. In seiner berühmten "Buchan-Rede“ vor dem Londoner Institute for Strategic Studies am 28.10.1977 sprach Schmidt den konventionellen Sektor allerdings eher bildhaft an; zur Debatte standen in Wirklichkeit die Verhandlungen im nuklearen Mittelstreckenbereich und der Doppelbeschluss.
  • 4. Ziff. 7 der Erklärung zu „Mutual Balanced Force Reductions“ der NATO-Ministerratstagung in Reykjavik (24./25. Juni 1968). In: Heinrich Siegler (Hrsg.), Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit, Bd. 6, Bonn, Wien, Zürich, S. 206f.
  • 5. Hintergrund und Verlauf der MBFR-Verhandlungen werden ausführlich dargestellt in meiner Monographie Die Rüstungskontrolle – Rückblick auf eine kurze Ära, Berlin 2008, S. 34-40.
  • 6. Hans-Dietrich Genscher im Bonner Generalanzeiger, 6. April 1977.
  • 7. Strobe Talbot, Deadly Gambits – The Reagan Administration and the Stalemate in Nuclear Arms Control, London 1985, S. 18.
  • 8. Joachim v. Arnim, Zeitnot – Moskau, Deutschland und der weltpolitische Umbruch, Bonn 2012, S. 28.
  • 9. Regierungserklärung vom 9.10.1962. In: Siegler (Hrsg.), Dokumentation Bd. 2., S. 301.
  • 10. Die NATO unterhielt in Wien eine Art Filiale in Form einer „Ad hoc Group“, der die acht direkten MBFR-Teilnehmer – deren Truppen in Mitteleuropa stationiert waren – und fünf andere europäische NATO-Partner als indirekte Teilnehmer angehörten. Kollektiv erhielten sie förmliche Weisungen des NATO-Rats, die einzelnen Delegationen aber auch ihrer Außen- bzw. Verteidigungsministerien, wobei beide Ministerien nicht immer übereinstimmten. Nach Vorbild des NATO-Rats stimmten sich die Delegationen, einschließlich ihrer Militärberater, in wöchentlichen Plenarsitzungen über die Verhandlungsführung ab. Allerdings wurden wichtige Fragen in deutsch-amerikanisch-britischen Sonderkonsultationen, den offiziell nicht existenten „Trilaterals“, vorbesprochen. Mit der Gegenseite traf man sich mittwochs im Redoutensaal der Hofburg zu den öffentlichen „Plenaries“, donnerstags in wechselnder Besetzung mit jeweils drei Teilnehmern pro Seite.
  • 11. Siegler (Hrsg.), Dokumentation Bd. 17, S. 35.
  • 12. Oleg A.Grinjewskij, The Anatomy of Russian Defense Conversion, Walnut Creek/CA 2001, S. 176.
  • 13. Juliy A. Kwizinski, Vor dem Sturm – Erinnerungen eines Diplomaten, München 1993, S. 276.
  • 14. Für die Geschichte der VKSE wird zurückgegriffen auf mein Buch Die Rüstungskontrolle, S. 67-75.
  • 15. Grinjewskij, Russian Defense Conversion, S. 185.
  • 16. Ebd., S. 189.
  • 17. Zubok, A Failed Empire, S. 307.
  • 18. Beide Verhandlungen – die zu 35 über VSBM und die zu 23 über KSE - fanden im gleichen Gebäudekomplex, der Wiener Hofburg, statt, die VKSE-Teilnehmer sollten die übrigen KSZE-Staaten regelmäßig über ihre Verhandlungen informieren und konsultieren.
  • 19. Zum Verhandlungsverlauf siehe Rüdiger Hartmann/Wolfgang Heydrich/Nikolaus Meyer- Landrut, Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, Baden-Baden, 1994.
  • 20. In seinem Buch „Zeitnot“ (siehe Anmerkung 8), einer eindrucksvoller Schilderung seiner Erfahrungen in der entscheidenden Phase der Politik Gorbatschows, stellt der damalige Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Moskau, Joachim v. Arnim, hauptsächlich auf den internen Druck ab, unter dem die sowjetische Führung in ihrer Deutschlandpolitik stand, und leitet daraus die Handlungszwänge für unsere eigene Politik ab, die er den „Bonnern“ immer wieder deutlich zu machen versuchte; freilich ergab sich der Druck aus dem Zusammenwirken der unterschiedlichen internationalen Entwicklungen, und nicht nur die Führung der Sowjetunion stand unter Zeitnot.
  • 21. Kwizinski, Vor dem Sturm, S. 12.
  • 22. v. Arnim, Zeitnot, S. 304-305.
  • 23. Philip Zelikow, Condoleezza Rice, Germany Unified and Europe Transformed, Cambridge/MA 1997, S. 268.
  • 24. Ebd., S.287.
  • 25. Die Differenzierung zwischen der Begrenzung der Gesamtstreitkräfte einerseits und der Personalstärke für Land- und Luftstreitkräfte andrerseits war notwendig, weil nur letztere laut VKSE-Mandat zur Verhandlung anstanden.
  • 26. Joachim Krause/Christiane Magiera Krause (Hrsg.), Dokumentation zur Abrüstung und Sicherheit Bd. 25, Sankt Augustin 1997, S. 102.
  • 27. Gegenüber der damals zugesagten Begrenzung der Personalstärke auf 370.000 Mann betrug 2013 der Gesamtumfang der Bundeswehr 192.000 Mann; Ziel der laufenden Bundeswehrreform ist ein Gesamtumfang von 175.000 Mann.
  • 28. Christoph Bluth, The Collapse of Soviet Military Power, Dartmouth 1995, S. 235.
  • 29. Hartmann/Heydrich/Meyer-Landrut, Der Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, S. 111.
  • 30. Schilderung des Gesprächs bei v. Arnim, Zeitnot, S. 396.
  • 31. Nach dem Rücktritt Schewardnadses im Dezember 1990 wurde Bessmertnych, Botschafter in Washington, sein Nachfolger.
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Das Bild zeigt die deutsche MBFR-Delegation in der Wiener Hofburg
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