Eine Konferenz des Deutschen Historischen Instituts Warschau mit dem Deutschen Komitee für die Geschichte des Zweiten Weltkriegs in Kooperation mit der Universität Potsdam, 4.-6. Juni 2015 in Potsdam
Dennis Werberg
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
23. Juli 2015

Mit dem Ukrainekonflikt sind Krieg und kriegerische Gewalt nach Europa zurückgekehrt. Die durch die Medien verbreiteten Nachrichten von Gewaltakten, die von beiden Seiten verübt werden, lösen in den weitgehend gewaltlosen Gesellschaften des Westens Empörung und Bestürzung aus. Die Perzeption von Gewalt, aber auch deren Anwendung hängt dabei wesentlich von der Gewaltkultur in der Gesellschaft bzw. innerhalb eines ihrer Glieder, dem Militär ab. Doch kann überhaupt von nationalen oder regionalen Gewaltkulturen gesprochen werden? Sind die jeweiligen situativen Umstände, in denen Gewaltakte in Vergangenheit und Gegenwart, an unterschiedlichen Orten und von verschiedenen Akteuren begangen wurden und werden nicht die entscheidenden Faktoren für Art und Ausmaß von Gewaltanwendung? Oder sind die Akte militärischer Gewaltanwendung, welche die Geschichte der Menschheit wie ein roter Faden durchziehen, nur zu verstehen, wenn sowohl die Gewaltkultur als auch die konkrete Situation, in der die Akteure handelten, in Betracht gezogen werden? Welche Rolle spielen Gewalträume in diesem Zusammenhang? Diesen Fragen wohnt eine nicht unerhebliche politische Sprengkraft inne, da der Rückgriff auf das situative Element zur Erklärung von Gewaltexzessen dazu verwandt werden kann, um die individuelle bzw. kollektive Schuld beispielsweise an Kriegsverbrechen zu relativieren. Die Frage nach nationalen und armeespezifischen, zeitlichen sowie räumlichen Gewaltkulturen stellten SÖNKE NEITZEL (London) und STEPHAN LEHNSTAEDT (Warschau) in den Mittelpunkt der hier besprochenen Konferenz.

Zu Beginn trug DAQUIN YANG (Washington) zum Paradox der japanischen Gewaltkultur im 19. und 20. Jahrhundert vor. Im Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg 1894 und nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in Asien 1937 hätten japanische Truppen zwar schwerste Kriegsverbrechen begangen, sich jedoch bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes und im Russisch-Japanischen Krieg 1904/05 geradezu vorbildlich verhalten. Mit der Gewaltkultur habe sich auch die Perzeption von Gewalt in Japan gewandelt. Dabei könne weder der Verweis auf eine nationale Gewaltkultur noch der auf den kulturspezifischen Ehrenkodex der Samurai (Bushido) diese Paradoxie hinreichend erklären. Dem stellte Yang die situativen Bedingungen der Kriegseinsätze als entscheidende, externe bzw. interne Push-and-Pull-factors gegenüber und schlug eine Typologie mit den Wahrnehmungskategorien einer sanctionized violence, excessive violence sowie einer grey zone vor.

Aufbauend auf den Arbeiten von Clifford Geertz und James Clifford zeigte TIMOTHY SCHROER (Carrollton, NC) anschließend auf, wie Gewaltakte transnational zur Kommunikation eingesetzt werden können und durch die Verbindung kulturspezifischer Merkmale eine neue, transnationale Gewaltkultur erzeugt und strukturiert werden könne. Dies illustrierte Schroer anhand der Anwendung militärischer Gewalt durch das deutsche Kontingent bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China 1900/01. So stilisierten sich die Deutschen gegenüber der Bevölkerung vis-à-vis als dominante Bewahrer von Recht und Ordnung und demonstrierten den Streitkräften der übrigen Kontingente die Überlegenheit ihres disziplinierten Militärs.

Über die Auswirkungen der Gewaltkultur innerhalb des Militärs trug JAMES N. TALLON (Romeoville, IL) am Beispiel der Einsätze des osmanischen Militärs gegen Aufständische zu Beginn der Herrschaft der Jungtürken (ab 1876) vor. Zusammen mit einem Großteil der staatlichen Strukturen sei auch die Armee von tiefgreifenden Reformen betroffen gewesen. Dies habe zur Verunsicherung und Orientierungslosigkeit innerhalb des Militärapparates geführt, welcher wiederum die Gewaltkultur dieser kritischen Jahre strukturierte. Nur so seien beispielsweise das Abbrennen von Behausungen Aufständischer und die darauffolgende Zahlung von Kompensationen an die Hausbesitzer und ähnliche Vorfälle zu verstehen.

Abschließend fasste CHRISTOPH NÜBEL zusammen, dass extreme Gewalt und Brutalisierung nicht erst 1914 einsetzten bzw. dass diese Phänomene nicht als bloße Folgeerscheinungen des Ersten Weltkrieges betrachtet werden dürften. Wie die Vorträge zeigten, habe sich das sog. Zeitalter der Extreme oder Zeitalter der Gewalt bereits in den Kolonialkriegen des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts angekündigt, in denen Gewalt als legitimes Mittel zur Herrschaftsdurchsetzung und -sicherung, zur Zivilisierung angeblicher „Wilder" sowie als Kommunikationsmedium der Herrschenden eingesetzt worden sei. Begrenzend hätten hierbei allerdings soziale und religiöse Normvorstellungen der Soldaten sowie militärrechtliche Bestimmungen gewirkt. Für künftige Forschungsansätze warf Nübel u. a. die Frage auf, ob Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Anwendung von Gewalt bei land- bzw. seebasierten Imperien (z. B. im russischen Zarenreich und im britischen Empire) nachgewiesen werden können. Ferner sei interessant zu untersuchen, welche Rolle die Vertrautheit mit anderen Kulturen bzw. deren Fremdheit bei der Anwendung von Gewalt in Kolonien spielte und welche Folgen die in den Kolonien gesammelten Erfahrungen auf die Gewaltkultur insgesamt hatten.

Zu Beginn des zweiten Panels, welches von PIOTR SZLANTA (Warschau) geleitet wurde, referierte WOLFRAM DORNIK (Graz) über die Gewalterfahrungen von k.u.k Soldaten, die während des Ersten Weltkriegs an der Ostfront eingesetzt wurden. In deren Tagebüchern und Memoiren schlügen sich Vorerfahrungen der Soldaten mit dem Kulturraum Osteuropa nieder, welche sie bei passiv erfahrener, erschauter und selbst ausgeübter Gewalt beeinflusst hätten. Als spezifische Charakteristika der Gewalterfahrung benannte Dornik die Ausweitung kriegerischer Gewalt auf Zivilisten, den latent vorhandenden Antisemitismus, die zunehmende Bedeutung der Ideologie, aber auch die Abwesenheit von Gewalt auf dem östlichen Kriegsschauplatz.

Im Anschluss unternahm JENS BOYSEN (Warschau) den Versuch, das Bild Polens als reines Opfer militärischer Gewalt in der Neuzeit zu dekonstruieren, indem er den polnischen Staat als militärischen Akteur zwischen 1918 und 1948 betrachtete. Innerhalb der polnischen Gesellschaft gäbe es ein starkes Bewusstsein dafür, dass die Genese des jungen Staates eng mit der Ausübung militärischer Gewalt gegen seine Nachbarn verbunden war. Infolge der Grenzkonflikte, der Expansion und dem Anspruch, zu einer neuen Ordnungsmacht in Osteuropa aufzusteigen, sei die Stellung des Militärs innerhalb von Staat und Gesellschaft immer stärker geworden, während Polen außenpolitisch immer weiter in die Isolation geraten sei.

Dass Gewalträume nicht nur das Handeln von Akteuren bestimmten, sondern diese durch Gewaltanwendung alte Räume zerschlagen und neue schaffen können, stellte CHRISTOPH HERTNER (Bern) überzeugend dar. Bei der Aufstandsbekämpfung durch deutsche Soldaten in der Ukraine 1918 hätten diese in einem für sie fremden Umfeld neue Gewalträume geschaffen und die zunächst spontane, ungeregelte Anwendung von Gewalt durch institutionalisierte Formen ersetzt. Diese seien den Soldaten vertraut gewesen und hätten nicht nur ihnen, sondern auch der örtlichen Bevölkerung Orientierung und neue Sicherheit geboten. Das Gewaltniveau sei daher nur angehoben worden, um diese neuen Räume abzusichern und wurde nach erfolgreicher Integration wieder gesenkt. So sei daher auch die Korrelation von Gewaltintensität und Stabilisierungsgrad zu verstehen.

Als erster Referent des von PETER LIEB (Potsdam) geleiteten Panels trug FREDERICO CIAVATTONE (Pisa) zur Aufstands- und Partisanenbekämpfung im faschistischen Italien vor. Dabei machte er deutlich, dass bei den Einsätzen der militärischen Sondereinheiten gegen Aufständische zwar auch Zivilisten zu Schaden kamen, diese jedoch nicht zu einer fortwährenden Eskalation der Gewalt geführt hätten. So seien im Zeitraum von 1944 bis 1945 insgesamt 16 Zivilisten, auf Seiten der Partisanen allerdings 206 Kämpfer getötet worden.

In seinem Vortrag zur italienischen Kriegführung und Kriegsverbrechen auf dem Balkan zwischen 1941 und 1943 führte TOBIAS HOF (Chapell Hill, NC) aus, dass diese bisher vor allem auf die faschistische Ideologie, nicht jedoch auf eine spezifisch-italienische Gewaltkultur zurückgeführt worden seien. Er betonte daher die Wirkmächtigkeit der kolonialen Erfahrungen und des Ultranationalismus im Sinne der longue durée kollektiver Erinnerung. Als wesentliche Punkte nannte Hof den kulturellen Rassismus des faschistischen Italiens als Erben des römischen Imperiums gegenüber dem slawischen Hauptfeind, die Unfähigkeit die für sich vereinnahmte Überlegenheit durch erfolgreiche militärische Operationen zu belegen und die zivilisatorische Mission Italiens auf dem Balkan.

Über Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg trug SABINE RUTAR (Regensburg) vor. Sie warf die Frage auf, ob diese Region als Gewaltraum gelten könne. Zu Beginn wies Rutar darauf hin, dass die Geschichte Jugoslawiens zumeist vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs ab 1991 betrachtet worden sei, was zu einer zu starken Gewichtung des Faktors Ethnie geführt habe. Dem hielt sie ihr Konzept entgegen, Jugoslawien als regionalen Gewaltraum und zugleich als Sozialraum neu zu betrachten. Beispielhaft illustrierte sie das Potenzial dieses Zugangs anhand von vier Bergbauregionen auf dem Balkan, in denen die Arbeiter Zwangsrekrutierung, Deportation und paramilitärischer Gewalt durch Rückzug in den dortigen Sozialraum entgehen konnten.

Abschließend betonte Peter Lieb die Wichtigkeit einer Differenzierung und Kategorisierung von Gewalt bei der Untersuchung von Gewaltanwendung in bestimmten Gewalträumen. Neben der Frage, welche Akte der Gewalt unter welchen Umständen als Notwendigkeit im Krieg akzeptiert und welche als Verbrechen verurteilt werden, müssten noch weitere Faktoren mit einbezogen werden: die Anzahl der Opfer kriegerischer Gewalt auf Seiten der Zivilisten und etwaiger Partisanen und die Differenzierung zwischen diesen beiden Gruppen, eine genaue Unterscheidung der Gewaltanwender (reguläre Armeeeinheiten, militärische Spezialeinheiten oder Paramilitärs) sowie die Rolle der geographischen und sozialen Faktoren des Raumes, in denen Gewalt ausgeübt wurden. Mit Blick auf das erste Panel der Konferenz bezeichnete Lieb die Schauplätze der Kolonialkriege als „Testgelände" der Gewaltanwendung in der Moderne und führte aus, dass der Transfer und die Kontinuitäten von Gewalt von bzw. in diesen Räumen bislang kaum untersucht worden seien. Hier bieten sich Ansatzpunkte für künftige militärgeschichtliche Forschungsarbeiten an.

Das vierte Panel unter Leitung von TAKUMA MELBER (Mainz) fokussierte auf Asien im Zweiten Weltkrieg. In seinem Vortrag zu japanischen Gewaltexzessen im Zweiten Weltkrieg in China hob auch FRANK JACOB (New York) die Bedeutung der situativen Faktoren hervor. Aufbauend auf der gewaltsoziologischen Forschung arbeitete er am Beispiel des Massakers von Nanking mehrere Auslöser für die Gewaltexzesse der Japaner gegenüber der chinesischen Zivilbevölkerung heraus: die Brutalisierung der Soldaten innerhalb der japanischen Armee, die Enttäuschung und Frustration ob des unerwarteten Ausbleibens eines schnellen Sieges sowie hohe Verluste im Guerillakrieg. Diese Faktoren hätten einen situativen Kontext, einen rechtsfreien Gewaltraum mit eigenen moralischen und rechtlichen Standards geschaffen, der die von ihm geschilderten Gewaltexzesse befördert habe. Die extreme Brutalität der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung sei daher kein genuines Merkmal japanischer Gewaltkultur, sondern Ergebnis einer Kombination spezifischer situativer Elemente.

STEPHEN MacKINNON (Tempe, AZ) unternahm den Versuch, die Gewalträume Europa und Asien im Zweiten Weltkrieg aus globalgeschichtlicher Perspektive zu vergleichen. Er fragte nach Verbindungen zwischen den Kriegsschauplätzen, nach Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschieden zwischen den Besatzungsregimes, in Strategie, Operationen sowie dem Grad der Gewaltanwendung gegen die Zivilbevölkerung. Neben einigen bestechenden Kontinuitäten hinsichtlich Besatzungsherrschaft und Kollaborationsregimen lassen sich auch wesentliche Unterschiede zwischen den beiden Kriegsschauplätzen ausmachen. So fiel das technologische und organisatorische Gefälle zwischen den Streitkräften Japans und Chinas extrem aus – ähnlich große Differenzen habe es in Europa nicht gegeben. Ob die beiden Schauplätze im Hinblick auf die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung vergleichbar seien, ließ er offen. Kinnon betonte aber die große Brutalität, mit der Chinesen und Japaner vorgingen und durch die die Existenz von Millionen chinesischer Zivilisten vernichtet worden sei.

Abschließend stellte Takuma Melber dar, wie der hohe Stellenwert des Kollektivs sowohl in der japanischen Gesellschaft als auch innerhalb ihres Militärs die Wirkung der Gruppendynamik bei der Gewaltanwendung steigerte und dieser in Verbindung mit einer pervertierten Form des Samurai-Ehrenkodex zu Kriegsverbrechen und Gewaltexzessen führte. Zusätzlich seien durch die Gewöhnung an Gewalt bereits in der militärischen Ausbildung einerseits und durch die Radikalisierung des japanischen Offizierskorps andererseits Hemmschwellen weiter abgebaut worden.

Der dritte Konferenztag stand im Zeichen der neuen Kriege nach 1945. Dabei wurde das fünfte Panel von GERHARD GROß (Potsdam) geleitet. In seinem Vortrag zur Mathematisierung des Krieges in Vietnam 1965 – 1975 führte MARCEL BERNI (Zürich) aus, dass die Strategie der US-Militärführung, durch die Kombination von Feuerkraft und kleinen, flexiblen Infanterietrupps mehr feindliche Soldaten zu vernichten, als der Feind nachführen konnte, zu vermehrten Übergriffen auf die vietnamesische Zivilbevölkerung und zur Schaffung von Gewalträumen (sog. kill-zones) geführt habe. Hinzu seien Faktoren wie Angst und Frustration auf Seiten der amerikanischen Soldaten gegen einen unsichtbaren, irregulär operierenden Feind gekommen. Ein hoher body count wurde, da er einerseits positiv sanktioniert und die Tötung von Zivilisten nur halbherzig verfolgt worden sei, handlungsleitend.

ROBERT LUČIÇ (Potsdam) stellte den Gegensatz zwischen Gewaltkultur und Situation gänzlich in Frage. In seinem Vortrag zur Kollaboration der Jugoslawischen Volksarmee mit serbischen paramilitärischen Kräften in Slowenien im Sommer 1991 trat er den klassischen Erklärungsmustern entgegen, welche deren Zusammenarbeit allein auf ethnische Zugehörigkeit und eine gemeinsame Gewaltkultur der männlichen Serben zurückführen würden. Zwar hätten sich Militär und Paramilitärs auf traditionelle Formen der Kriegführung in Südosteuropa beziehen können, doch greife eine solche monokausale Erklärung zu kurz. Dem gemeinsamen Referenzrahmen stellte er das situative Element, beispielsweise den Zwang zur Kollaboration mit lokalen, ortskundigen Milizen zur Seite. Kultur und Situation seien keine Gegensätze, sondern ergänzten sich und müssten daher in der Analyse nebeneinander stehen.

Im Anschluss führte JAN C.BEHRENS (Potsdam) aus, wie die durch die im Afghanistankrieg 1979 - 1989 gemachte kollektive Gewalterfahrung generierte, post-sowjetische Gewaltkultur durch die Institution Militär systematisiert und sowohl zeitlich als auch räumlich verbreitet worden sei. Diese beinhalte Gewalt gegen die Zivilbevölkerung und Vergeltungsaktionen zur Beherrschung des Raums sowie Gewalt als Mittel der Selbsterhaltung und Stiftung von Gemeinschaft. Diese habe sich im routinierten, systematischen Terror gegen die Zivilbevölkerung im Tschetschenienkrieg gezeigt, äußere sich nun im Ukrainekonflikt, in dem Veteranen beider Kriege auf allen Seiten zu finden seien und habe das Verständnis von Gewalt und Zivilität im post-sowjetischen Russland tiefgreifend gewandelt.

Zum Abschluss des fünften und letzten Panels nahm Gerhard Groß die heutigen Armeen und Kriegsschauplätze in den Blick und warf die Frage nach Gewaltkultur(en) der Gegenwart auf. Er führte aus, dass in der Jetztzeit sehr große Gegensätze zwischen den gewaltlosen, post-heroischen Gesellschaften des Westens und der Realität von Krieg v. a. in den ehemaligen Kolonialgebieten bestünden. Während erstere der Anwendung von Gewalt im Allgemeinen ablehnend gegenüberstünden, habe die Gewalterfahrung der vergangenen Jahrzehnte gerade in der Peripherie zu einer Bestialisierung der Gewalt geführt. Maßnahmen, die in einem Krieg ergriffen werden müssten - beispielsweise um die für das Militär wesentliche Kontrolle des Raumes sicherzustellen - seien im Westen kaum zu vermitteln. Darüber hinaus wirkten extreme Formen der Gewalt stärker aus den Randzonen in das Zentrum zurück, was die Frage nach dem richtigen Umgang mit diesen aufwerfe. Diese Rückwirkung sei allerdings kein neuartiges Phänomen und könne bereits an der Afrikanisierung der europäischen Kolonialtruppen abgelesen werden, die ihre Gewalterfahrungen in die Gesellschaft überführten. Hier zeigen sich eindeutige Parallelen beispielsweise zu der Genese einer post-sowjetischen Gewaltkultur, wie sie Behrens in seinem Vortrag beschrieb. Die Entgrenzung von Gewalt sei, damals wie in der jüngsten Vergangenheit, durch mangelnde Kontrolle von Seiten des Militärs, der staatlichen Institutionen und der Gesellschaft herbeigeführt und durch mangelhafte Ausbildung der Soldaten begünstigt worden.

Resümierend warf STEPHAN LEHNSTAEDT erneut die Frage nach der Definition und nach dem Charakter von Gewalt auf, wobei er zwischen tolerierten und instrumentalisierten Formen sowie jenen Gewaltakten, die sich in einer Grauzone bewegten, unterschied. In diesem Zusammenhang betonte er deren Abhängigkeit von Raum und Perspektive. So kann Gewalt von den unterschiedlichen Standpunkten der Täter, Opfer und Unbeteiligter aus betrachtet mit gänzlich unterschiedlichen Bedeutungen aufgeladen und bewertet werden. Besonders interessant sei es daher, die Gewaltperzeption aus möglichst vielen Perspektiven zu beleuchten. Insbesondere der Wahrnehmung der Opfer kommt hierbei besondere Bedeutung zu. Wurde gegen sie gerichtete Gewalt z. B. als legitimes Mittel der gerechten Bestrafung oder verbrecherischer Akt, als Instrument der Täter zur Unterwerfung oder zum bloßen Abbau von Aggression wahrgenommen? Auf spezifische Kriegsschauplätze und -zeiten bezogen verspricht diese Frage überaus interessante Forschungsergebnisse zu Tage fördern zu können. Im Hinblick auf die während der Konferenz häufig angesprochenen nationalen Gewaltkulturen bleibe allerdings unklar, ob sich diese überhaupt ausformten und falls ja, zu welchem Zeitpunkt sich diese manifestierten. Zwar sei es vereinzelt bereits jetzt möglich, nationale Gewaltkulturen zu beschreiben, doch müssten diese zeitlich und räumlich strikt abgegrenzt werden (z. B. die deutsche Wehrmacht an der Ostfront 1940 - 1944), da die Abhängigkeit von Zeit und Raum nicht aufzuheben sei.

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