Linus Birrel
Exkursionsbericht
Veröffentlicht am: 
18. Dezember 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.18.12.2023

Zum ersten Mal seit Beginn der Corona-Pandemie führte das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) dieses Jahr wieder eine Exkursion nach Masuren in Polen durch. Zwischen dem 28. August und dem 2. September 2023 beschäftigten sich die 25 hausinternen Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Ort des Geschehens mit der Schlacht bei Tannenberg im August 1914 und ihren Nachwirkungen. Verantwortlich für die Planung und Durchführung zeichnete der Forschungsbereich Militärgeschichte bis 1945, dessen Leiter Oberstleutnant Dr. John Zimmermann die Exkursion gemeinsam mit Hauptmann Helene Heldt organsierte. Inhaltliche Vorbereitung, eigens angefertigtes Informations- und Kartenmaterial sowie nicht zuletzt die in der Exkursionsgruppe versammelte Expertise erlaubten es, in dem dichten Ablaufplan ein breites Spektrum von Themen miteinander zu verweben.

Während der Schwerpunkt dabei der Bedeutung der Schlacht, ihrer militärhistorischen Einordnung und ihrem Verlauf galt, zählte dazu ebenfalls ihre Rezeptionsgeschichte, die bereits mit der Namensgebung einsetzte. Die damit konstruierte Assoziation des deutschen Sieges mit der Niederlage des Deutschen Ordens bei Tannenberg im Jahr 1410 sollte einer der Eckpfeiler der bis in die 1930er-Jahre fortwirkenden, zeitgenössischen Heroisierung von Paul von Hindenburg werden, dem Oberbefehlshaber der 1914 siegreichen 8. Armee. Eben jene Schlacht des 15. Jahrhunderts wiederum spielt als polnisch-litauisch-ruthenischer Sieg bei Grunwald bis heute eine bedeutende Rolle im polnischen Geschichtsbewusstsein, der sich die Exkursion mit einem Besuch des modernen Denkmals an historischer Stätte widmete.

Grunwald (Foto: Marie Anna Graser)

Im Rahmen des Programms hatten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Exkursion auch die Möglichkeit, sich mit einem anderen bedeutsamen regionalen deutsch-polnischen Erinnerungsort auseinanderzusetzen: die Wolfschanze. Er stellte während des Zweiten Weltkrieges eines der Führerhauptquartiere dar. Von hier aus führte Adolf Hitler den Krieg gegen die Sowjetunion. Auch fand hier der Attentatsversuch vom 20. Juli 1944 statt. In diesem Rahmen besuchte die Gruppe ebenfalls die in der Nähe gelegenen Ruinen der Bunkeranlagen von Mauerwald (Mamerki), in denen zwischen 1941 und 1944 das Oberkommando des Heeres (OKH) untergebracht war. Lokale Museen gaben dabei Gelegenheit, Einblicke in die polnische Erinnerungskultur des Zweiten Weltkriegs zu gewinnen.

Wolfschanze (Foto: Marie Anna Graser)

Das Exkursionsprogramm widmete sich jedoch überwiegend den militärischen Geschehnissen der letzten Augustwoche im Jahr 1914 in Ostpreußen. Da die Schlacht über einen mehrtätigen Zeitraum geschlagen wurde und weiträumige Truppenbewegungen beinhaltete, war dies buchstäblich ein weites Feld. Geländebegehungen an ausgesuchten Gefechtsorten wie Orlau (Orlowo), Usdau (Uzdowo), Mörken (Mierki) und Hohenstein (Olsztynek) dienten dazu, verschiedene Aspekte der zeitgenössischen Kriegführung anhand konkreter Beispiele zu beleuchten. Die Orte markierten unterschiedliche Phasen der Schlacht und stellten gleichzeitig für sich betrachtet Fallbeispiele deutscher und russländischer militärischer Führungspraxis zu Beginn des Ersten Weltkriegs dar. Darüber hinaus wurden mit Nikolaiken (Mikolajki) und der Feste Boyen Orte in Augenschein genommen, denen aufgrund ihrer Position als Nadelöhr in der masurischen Seenlandschaft eine strategische Bedeutung zukam. Der Blick ins Gelände war dabei gleich in mehrerer Hinsicht aufschlussreich: Er vermittelte einen Eindruck von den spezifischen naturräumlichen Bedingungen des Kriegsschauplatzes, die in Wechselwirkung mit den Möglichkeiten und Grenzen von Führungsdenken und Ausbildungsstand den Verlauf der Schlacht prägten. Zudem lud der Blick die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu ein, über die militärische Bedeutung von Witterungsbedingungen sowie der Dimensionen Raum und Zeit zu reflektieren.

(Foto: Marie Anna Graser)

(Foto: Marie Anna Graser)

(Foto: Marie Anna Graser)

An die leidvollen Auswirkungen der Kampfhandlungen, die zehntausenden Soldaten das Leben kosteten und hunderttausende Zivilisten zur Flucht veranlassten, erinnerten unter anderem Besuche des Soldatenfriedhofs bei Usdau (Uzdowo) und des sogenannten Samsonow-Steins. Letzterer kennzeichnet den Sterbeort des Oberbefehlshabers der russländischen 2. Armee, Alexander Samsonow, der entweder während der Schlacht fiel oder sich das Leben nahm.

Friedhof (Foto: Marie Anna Graser)

Als Ausgangsbasis für die täglichen Ausflüge diente das beschauliche Allenstein (Olsztyn). Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des gastgebenden Ortes brachte die Exkursionsgruppe unter anderem in Berührung mit dem Leben des Astronomen Nikolaus Kopernikus, zu dessen Wirkungsstätten die Stadt zählt. Nicht zuletzt war es aber die Geschichte des Deutschen Ordens, mit der sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Region immer wieder konfrontiert sahen. Und dies nicht nur als Motiv für Geschichtspolitik, etwa in Form des Tannenberg-Nationaldenkmals, das seit der Einweihung 1927 das Gedenken an die Schlacht von Tannenberg des Jahres 1914 mit jener des Jahres 1410 verband. So ist Allenstein (Olsztyn) selbst eine der zahlreichen Gründungen, die auf die Ordenszeit vom 13. bis ins 16. Jahrhundert zurückgehen. Auch dieser Kontext zum Deutschen Orden fand im Rahmen des Exkursionsprogramms Berücksichtigung, etwa durch Besichtigungen der Neidenburg (Nidzica) und des an der Weichsel gelegenen ehemaligen Hauptsitzes des Ritterordens, der Marienburg (Malbork). Kein Bericht über die Region kann aber schließen, ohne die so idyllische wie urtümliche Landschaft Masurens zu erwähnen, die allen Teilnehmenden in bleibender Erinnerung sein wird.

Kopernikus-Denkmal (Foto: Marie Anna Graser)

(Foto: Marie Anna Graser)

 

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Daniel R. Bonenkamp und Alexander Reineke.

 

Zitierempfehlung: Linus Birrel, Exkursionsbericht über »Tannenberg 1914 – 1410 – 2023« (28.08.– 02.09.2023) des ZMSBw, in: Portal Militärgeschichte, 18. Dezember 2023, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.18.12.2023 (Bitte fügen Sie in Klammern das Datum des letzten Aufrufs dieser Seite hinzu).