Corinna Malek
Tagungsbericht
Veröffentlicht am: 
31. Juli 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.31.07.2023

Der Einsatz von Kriegsgefangenen sowie Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der deutschen Kriegswirtschaft wurde lange Zeit von der Forschung nicht wahrgenommen. Erst in den 1990ern Jahren – im Zuge der Entschädigungsdebatte – setzte eine verstärkte Aufarbeitung dieses Aspektes der Geschichte des „Dritten Reichs“ ein, woran sich auch die Bezirksheimatpflege Schwaben in den vergangenen Jahrzehnten beteiligte. Im Rahmen der Neugestaltung des Erinnerungsortes in Memmingen setzte ein verstärktes Interesse an der Geschichte des Stammlagers (Stalag) VII B ein. Triebfeder war das bürgerschaftliche Engagement des 2021 verstorbenen, auf dem Feld der Stadtgeschichte engagierten Helmut Wolfseher. Durch sein Engagement rückte er sowohl das Stalag VII B als auch den Einsatz von Kriegsgefangenen in Bayerisch-Schwaben stärker in den Interessensfokus.

Nach der gemeinsamen Begrüßung durch den Direktor der Schwabenakademie Irsee MARKWART HERZOG (Irsee) und den Bezirksheimatpfleger CHRISTOPH LANG (Augsburg) eröffnete Letzterer mit einer allgemeinen Einführung die erste Sektion „Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft“. Er umriss zunächst den historischen und aktuellen geografischen Raum Bayerisch-Schwabens und verwies auf die Notwendigkeit, dass zu einer zeitgemäßen Heimatpflege auch immer die Beschäftigung mit der NS-Zeit und ihren Auswirkungen in der Region gehöre. Beide Themen – Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit – seien wesentliche Forschungsfelder für die Bezirksheimatpflege. Anschließend definierte der Referent die Schlüsselbegriffe gemäß der aktuellen Forschungsliteratur und gab einen kurzen Überblick über die Erkenntnisse aus der regionalen Geschichtsforschung in Bayerisch-Schwaben. Während für den Komplex Zwangsarbeit schon einige regionale Studien vorlägen, fehlten diese bis dato für die Kriegsgefangenen, so Lang. Im Bereich der lokalen Erinnerungs- und Gedenkarbeit wirkt die Bezirksheimatpflege als Ansprechpartner und Netzwerker für lokale Akteure und ist somit an der weiteren Entwicklung einer Erinnerungslandschaft in Bayerisch-Schwaben beteiligt.

CORINNA MALEK (Augsburg) befasste sich mit einer speziellen Form des Einsatzes von Kriegsgefangenen, Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern für Kultivierungsarbeiten, um Moorflächen trocken zu legen und in landwirtschaftliches Nutzland umzubrechen. Anhand des Beispiels Bayerisch-Schwaben zeigte die Referentin, dass besonders im Ersten Weltkrieg verstärkt Kriegsgefangene im Moor zum Einsatz kamen, im Zweiten Weltkrieg jedoch nicht. Männliche Zwangsarbeiter aus dem Konzentrationslager Dachau wurden nur in der Frühphase des Lagers zum Torfstechen mit einer einzigen Arbeiterkolonne eingesetzt. Nach der Reorganisation des Konzentrationslagersystems nach 1935 gab es keine weiteren Moor-Einsätze von Häftlingen.

Im Anschluss eröffnete RÜDIGER OVERMANS (Freiburg i. Br.) die zweite Sektion zu den Kriegsgefangenenlagern Stalag VII A (Moosburg) und VII B (Memmingen). Overmans gab eine allgemeine Einführung in den Aufbau und die Struktur des Kriegsgefangenenlagerwesens der Wehrmacht und definierte zentrale Schlüsselbegriffe und Lagerformen, mit einem Schwerpunkt auf dem Wehrkreis VII, der Südbayern umfasste. Anschließend präsentierten JULIA DEVLIN (Augsburg) und CHRISTOPH ENGELHARD (Memmingen) die im Wehrkreis VII liegenden Stalags VII A und B. Dabei gingen Devlin und Engelhard auf die unterschiedlichen Entstehungsgeschichten der beiden Lager in Moosburg und Memmingen ein, hoben deren verwaltungsrechtliche Verflechtung hervor und blickten auf die heutige lokale Erinnerungsarbeit. Beide Vorträge ermöglichten einen Vergleich der beiden Standorte. Eine weitere Perspektive zum Stalag VII B in Memmingen erläuterte JAKOB WOLF (Augsburg), der die Lebensbedingungen der Kriegsgefangenen unterschiedlicher, im Stalag VII B untergebrachter Nationen verglich. Zum Abschluss der Sektion lenkte PETRA SCHWEIZER-MARTINSCHEK (Kaufbeuren) den Blick auf ein bis dato kaum untersuchtes Thema, nämlich die Behandlung Kriegsgefangener in den bayerischen Heil- und Pflegeanstalten. Anhand des Beispiels Kaufbeuren und der dort vorliegenden historischen Überlieferung zeigte die Referentin auf, welche Institutionen ausländische Patienten nach Kaufbeuren überwiesen und wie hoch deren Zahl ausfiel. Darüber hinaus rekonstruierte die Referentin das Behandlungssystem innerhalb der Anstalt und den Weg der Patienten nach Abschluss der Behandlung, sofern sie nicht den Krankenmorden zum Opfer fielen. Sie machte deutlich, dass ihre Erkenntnisse am Anfang von weiteren, tiefergehenden Forschungen stünden.

In der dritten Sektion wechselte der Schwerpunkt zu den KZ-Häftlingen, die als Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Bayerisch-Schwaben eingesetzt waren. Die thematische Einführung übernahm EDITH RAIM (Augsburg), die den Anwesenden das KZ-System, dessen Entwicklung und Spezifika erläuterte. Sie stellte die Entwicklung chronologisch bis zur Befreiung der einzelnen Lager dar und ging auf die besondere Rolle der SS als deren Träger ein. Darüber hinaus zeigte sie die verschiedenen Lagertypen auf und stellte Bezüge zur Zwangsarbeit her. Nach dieser Einführung präsentierte WOLFGANG KUCERA (Augsburg/Ulm) seine Forschungsergebnisse zum Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in Augsburg. In einem chronologischen Überblick für die Jahre zwischen 1939 und 1945 zeigte er die von ihm ermittelten Lagerstandorte auf. Detailliert führte er die Einsätze von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der Flugzeugproduktion bei der Firma Messerschmitt aus, die mehrere Lager in und um Augsburg unterhielt. Weitere Aspekte zu Augsburg zeigte SABINE KLOTZ (Augsburg) auf, die ihren Vortrag der Organisation des Arbeitseinsatzes innerhalb der Stadt widmete. Dabei rekonstruierte Klotz das planerische Handeln der kommunalen Verwaltung in Zusammenarbeit mit den betroffenen Firmen. Das Augsburger Stadtgebiet war unterteilt in fünf Bezirke, in denen Sammellager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter entstehen sollten, die bei verschiedenen Firmen eingesetzt waren; wobei nicht alle projektierten Lager auch die Realisierung erreichten. Zum Abschluss der Sektion präsentierte MARKUS NAUMANN (Kempten) mit Kempten ein Vergleichsbeispiel. Die dortigen KZ-Außenlager wurden größtenteils für die Rüstungsproduktion der Firma Messerschmitt errichtet und beherbergten rund 5.000 KZ-Häftlinge. Naumann skizzierte die Lager in der Tierzuchthalle in Kempten, in der ehemaligen Mechanischen Spinnerei und Weberei in Kottern-Weidach und gab im Anschluss einen kurzen Ausblick auf die heutige Erinnerungskultur der Stadt.

Die vierte Sektion befasste sich mit dem Einsatz von zivilen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern. BARBARA ZEITELHACK (Neuburg a. d. Donau) stellte anhand des Fotonachlasses des Neuburger Fotografen Julius Sayle die Potenziale von Bildern als historischen Quellen dar. Der Nachlass bietet eine Reihe von Studio-Porträtaufnahmen von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern verschiedener Arbeitgeber in Neuburg. Obwohl die abgebildeten Personen bislang nicht identifiziert werden konnten, bieten die Aufnahmen einen visuellen Zugang zu den Betroffenen, denen sie ein Gesicht geben und nach deren Geschichte fragen. Welchen Repressionen und Willkür Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter sich ausgesetzt sahen, verdeutlichte DIETER WEBER (Kempten) anhand zweier Biografien getöteter Zwangsarbeiter aus Kempten. Beide fielen für Bagatelldelikte der Willkür und Brutalität der Gestapo und dem Sondergericht Kempten zum Opfer. Wie umfassend der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern auch in kleineren Städten und Kreisen ausfiel, zeigte PETER STÖFERLE (Neu-Ulm) mit seiner Studie zum ehemaligen NSDAP-Kreis Neu-Ulm. Stöferle ermittelte durch die Auswertung der Ausländerkartei der Stadt Neu-Ulm namentlich 2.404 ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Durch eine Zuordnung der Wohnadressen lokalisierte er im Stadtgebiet Neu-Ulm 80 Lagerstandorte. Seine Auswertung dehnte er auf den gesamten Kreis aus und konnte auch dort weitere Lager feststellen. In gleicher Weise verfuhr Stöferle für die im Kreis beschäftigten Kriegsgefangenen, für die er ebenfalls mehrere Arbeitskommandos und Unterbringungsorte ermitteln konnte. Zum Abschluss der Sektion gaben MATTHIAS GEORGI (München) und LUKAS WOLLSCHEID (München) einen Werkstattbericht über ihr derzeit laufendes Forschungsprojekt zur Unternehmensgeschichte der Lechwerke AG (LEW) in Augsburg. Sie präsentierten Erkenntnisse über Zwangsarbeit, wie sie sich in den Beständen des Unternehmensarchivs nachvollziehen ließ. Insbesondere in Gestalt unmittelbarer Beschäftigung sowie mittelbarer Anstellung bei einigen für die LEW tätigen externen Firmen.

Die letzte Sektion warf einen Blick auf die heutige Erinnerungsarbeit. Den Sektionsauftakt übernahm SYLVIA HEUDECKER (Irsee) mit der Präsentation des Kursformats „NS-Erinnerungsorte sehen und verstehen“. Es soll Akteurinnen und Akteure vor Ort das notwendige Rüstzeug für die Vermittlung und Gestaltung lokaler NS-Erinnerungsorte bieten und den bereits bestehenden Orten die Möglichkeit der Vernetzung bieten. Anschließend fasste VERONIKA HEILMANNSEDER (Wiggensbach) in einem chronologischen Überblick die verschiedenen Phasen der Erinnerungsarbeit in Bayerisch-Schwaben zusammen, wobei sie Bezüge zu den allgemeinen Entwicklungen in Bayern und der Bundesrepublik herstellte. Sie arbeitete die einzelnen Phasen und Akteure jeweils heraus, stellte die derzeitigen Formen und Tendenzen in der Erinnerungsarbeit dar und blickte auf zukünftige Entwicklungen.

Zum Abschluss zog Christoph Lang ein positives Fazit, es sei gelungen, die bisherigen Einzelstudien in einen größeren Konnex zu stellen und Vergleichbarkeiten zu schaffen. Auch habe man festgestellt, wie vielschichtig beide Themenkomplexe noch immer seien und wo weiterhin Fehlstellen bestünden, die es zu bearbeiten gelte.


Konferenzübersicht:

Freitag, 24. März 2023

Begrüßung
Markwart Herzog/Christoph Lang (Schwabenakademie Irsee, Irsee/Bezirksheimatpflege Schwaben, Augsburg): Begrüßung

Sektion 1: Zwangsarbeit und Kriegsgefangenschaft
Christoph Lang (Bezirksheimatpflege Schwaben): Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit – eine Einführung
Corinna Malek (Bezirksheimatpflege Schwaben): Kriegsgefangenen- und Zwangsarbeit im Moor

Sektion 2: Die Kriegsgefangenenlager Stalag VII A (Moosburg) und Stalag VII B (Memmingen)
Rüdiger Overmans (Freiburg i. Br.): Das Kriegsgefangenenlagersystem
Julia Devlin (Bayerische Staatsgemäldesammlung): Das Stalag VII A Moosburg
Christoph Engelhard (Stadtarchiv Memmingen): Das Stalag VII B Memmingen
Jakob Wolf (Augsburg): Das Stalag VII B Memmingen im Kontext des deutschen Kriegsgefangenenwesens
Petra Schweizer-Martinschek (Historisches Archiv des Bezirks Schwaben, Kaufbeuren/Michael von Cranach, Kaufbeuren): Die Behandlung von ausländischen Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitern in der Heil- und Pflegeanstalt Kaufbeuren

Sektion 3: KZ-Zwangsarbeit in Schwaben
Edith Raim (Augsburg): Das KZ-System – eine Einführung
Wolfgang Kucera (Augsburg/Ulm): Zwangsarbeit in Augsburg
Sabine Klotz (Diözesanbauamt Augsburg): Zur Ausbeutung von Kriegsgefangenen und zivilen Arbeitskräften in Augsburg – Einblicke in das Lagersystem
Markus Naumann (Kempten): KZ-Zwangsarbeit in Kempten


Samstag, 25. März 2023

Sektion 4: Zivile Zwangsarbeit in Schwaben
Barbara Zeitelhack (Neuburg a. d. Donau): Porträtfotografien von Zwangsarbeitern
Dieter Weber (Kempten): Zivile Zwangsarbeiterschicksale in Kempten
Peter Stöferle (Neu-Ulm): Zwangsarbeit im NSDAP-Kreis Neu-Ulm
Matthias Georgi/Lukas Wollscheid (München): Zwangsarbeit bei der LEW

Sektion 5: Erinnerungskultur nach 1945
Sylvia Heudecker (Schwabenakademie Irsee): NS-Erinnerungsorte sehen und verstehen
Veronika Heilmannseder (Wiggensbach): Erinnerungskultur nach 1945


Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Daniel R. Bonenkamp und Alexander Reineke.


Zitierempfehlung: Corinna Malek, Kriegsgefangenschaft und Zwangsarbeit in Schwaben (Irsee, 24.–25.03.2023), in: Portal Militärgeschichte, 31. Juli 2023, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.31.07.2023.