Dennis Yücel
Interview
Veröffentlicht am: 
08. September 2023
DOI: 
https://doi.org/10.15500/akm.08.09.2023

Auf der diesjährigen hybriden AKM-Tagung, die von Martin Clauss, Gundula Gahlen und Oliver Janz an der Freien Universität Berlin organisiert wird, soll der Sound des Krieges im historischen Längsschnitt von der Antike bis in die Gegenwart in den Blick genommen werden. Die theoretischen und methodischen Potentiale der Sound Studies und der Sinnesgeschichte werden für die Militärgeschichte ausgelotet. Gefragt wird, wie und warum sich der Sound des Krieges im Laufe der Geschichte wandelte und wie er wahrgenommen, gedeutet und erinnert wurde. Im Interview geben Martin Clauss und Gundula Gahlen über ihre Vorüberlegungen und das Tagungskonzept Auskunft.

Beschäftigen Sie sich beide schon länger mit den „Sounds of War“? Wenn ja, in welcher Weise und wie sind Sie dazu gekommen?

M. Clauss: Ich beschäftige mich seit einigen Jahren mit dem Themenbereich Lautsphären des Mittelalters. Ausgangspunkt hierfür ist der sogenannte acoustic turn, der dazu führt, dass sich mehr und mehr Wissenschaften akustischen Phänomenen und ihren Bedeutungen zuwenden. Dieses Themenfeld ist für das Mittelalter, das durch einen hohen Grad an Mündlichkeit geprägt ist, besonders interessant. Gleichzeitig stehen wir für die Zeiten, zu denen keine Tonaufnahmen zur Verfügung stehen, vor besonderen Herausforderungen, denen wir durch eine Konzentration auf die Medialisierungsprozesse (in Schrift, im Bild etc.) begegnen. Der Sound des Krieges steht zudem im Zentrum eines Forschungsprojektes zur Belliphonie, das wir seit einiger Zeit an der TU Chemnitz betreiben (www. belliphonie.de).

G. Gahlen: Ich hingegen habe mich bisher nur am Rande mit dem Thema befasst. In meiner Habilitationsschrift, in der ich mich mit psychisch versehrten Offizieren des Ersten Weltkriegs beschäftigte, stieß ich immer wieder auf Patienten, die den Lärm und die Erschütterungen an der Front im maschinellen Stellungskrieg als ganz entscheidend für den Ausbruch ihrer Krankheit ansahen. Hier weiterzuforschen und der Frage nachzugehen, wie sich die Soundscapes in den Kriegen über die Epochen hinweg verändert haben und wie sie die Belastungen der Kriegsteilnehmer geprägt haben, hat mich sehr interessiert und war ein entscheidender Faktor für mich, bei der Organisation der Tagung mitzuarbeiten.

Wie würden Sie das Anliegen Ihrer Konferenz in eigenen Worten beschreiben?
    
G. Gahlen: Wir wollen uns dem Untersuchungsgegenstand Kriegssound auf zwei Ebenen annähern. Die erste Leitfrage lautet: Wie und warum wandelte sich der Sound des Krieges im Laufe der Geschichte? Die zweite Leitfrage lautet: Wie wurde der Sound des Krieges jeweils wahrgenommen, gedeutet und erinnert? Theoretische und methodische Anregungen erhoffen wir uns dabei von den Sound Studies und der Sinnesgeschichte, die in den letzten Jahren einen Forschungsboom erlebten. Deren Ansätze wollen wir mit genuin militärgeschichtlichen Fragestellungen verknüpfen.

M. Clauss: So wollen wir den Dialog zwischen den verschiedenen Epochen und Disziplinen befördern und zu weiterführenden Erkenntnissen kommen. Es ist klar, dass Krieg zu allen Zeiten von akustischen Phänomenen geprägt war und ist. Diese reichen von den Geräuschen der Waffen über Musik in verschiedenen Kontexten bis hin zu den menschlichen Lauten, wie Jubel- oder Schmerzensschreie. Unsere Konferenz will ein methodisches Instrumentarium ausprobieren, um diesen bislang wenig erforschten Bereich des Krieges zu analysieren.

Wenn man an Krieg und seine wissenschaftliche Erforschung denkt, dann zunächst eher nicht an die klangliche Dimension. Warum beschäftigen Sie sich gerade mit dieser Frage? Worin liegt aus Ihrer Sicht die besondere gesellschaftliche Relevanz des Themas? Welche Erkenntnisse erhoffen Sie sich?
    
M. Clauss: Krieg wird sehr häufig akustisch erinnert und auch unter Verweise auf Höreindrücke erzählt. Im Schützengraben war es ohrenbetäubend laut oder angsterfüllend still; erfahrene Kombattant*innen können die Geräusche der Waffen einordnen und so die eigene Bedrohungslage einschätzen. Die moderne Militärgeschichte in Deutschland ist stark von kulturhistorischen Zugängen geprägt und da liegt die Beschäftigung mit dem Sound of War ein Stück weit auf der Hand. Die Relevanz unserer Beschäftigung mit dem Krieg und seinen Sounds liegt zunächst darin, dass die historische Auseinandersetzung mit bewaffneten Konflikten unser Instrumentarium für den analytischen Umgang mit diesem so aktuellen Phänomen schärft. Wenn wir uns den Sounds zuwenden, so weiten wir darüber hinaus traditionelle Zugriffe und Zuschreibungen. Wer ist etwa als Kriegsteilnehmer*in zu verstehen, Personen, die den Krieg sehen, oder solche, die ihn hören können? Der Krieg dringt nicht nur über die Augen in die Körper der Betroffenen ein, sondern auch über die Ohren und die Sinne, welche die physikalischen Auswirkungen von Kriegslärm wahrnehmen können.
 
Militärgeschichte und Sound Studies liegen disziplinär nicht unbedingt nahe. Wie funktioniert der Austausch? Wie unterscheidet sich die Herangehensweise, was kann man voneinander lernen?

M. Clauss: So fern scheinen mir die beiden Zugriffe gar nicht zu sein. Beide sind sehr stark von Interepochalität und Interdisziplinarität geprägt. Beide sind sehr offen für Anregungen aus anderen Disziplinen und fragen nach Entwicklungen über lange Zeiträume hinweg. Aber Sie haben insofern Recht, als dass der Austausch dieser beiden Zugriffe bislang keine Tradition hat, zumal die Sound Studies noch nicht allzu lange in der deutschen Geschichtswissenschaft rezipiert werden. Wir werden also ein Stück weit ausprobieren müssen, wie der Dialog sich entwickelt. Die Reaktionen auf unseren Call for Papers lassen auf jeden Fall ein großes Interesse an diesem Thema und am interdisziplinären Zugriff erkennen.

G. Gahlen: Besonders spannend dabei ist, dass die Sound Studies ihrerseits interdisziplinär angelegt sind, und dass das Forschungsfeld mittlerweile rund um den Globus bearbeitet wird. Dies zeigt sich auch auf unserer Tagung. Die 23 Wissenschaftler, die vortragen werden, kommen aus allen Epochen der Geschichtswissenschaft, aus der Musikwissenschaft, der Kunstwissenschaft, der Islamwissenschaft, der Medizin und der Kulturwissenschaft. Sie forschen in Deutschland, Frankreich, Italien, Kanada, den Niederlanden, Österreich, Polen, der Ukraine und den USA.

An Frau Gahlen: Vielleicht könnten Sie einen kleinen Einblick in Ihren Vortrag geben. Was kann man sich darunter vorstellen „krank“ vom Sound des Krieges zu werden?

G. Gahlen: Ich beschäftige mich in meinem Vortrag mit dem Ersten Weltkrieg und hier mit der krankmachenden Wirkung des Sounds im industrialisierten Maschinenkrieg. Insbesondere das Trommelfeuer verkörperte die neue Qualität von Kriegsgeräuschen im Ersten Weltkrieg – und gerade das Trommelfeuer war auch derjenige belastende Sound, der von Kriegsteilnehmern, die psychisch erkrankten, am häufigsten genannt wurde. Die besondere Geräuschkulisse des Trommelfeuers bestand aus langen Zeiträumen mit höllischem Lärm, gelegentlich unterbrochen von Perioden völliger Stille. Beim Trommelfeuer handelte sich um eine mörderische Praxis, bei der die Artillerie ununterbrochen auf die feindlichen Stellungen feuerte. Es war eine Reaktion darauf, dass sich die Infanterie in den Schützengräben verschanzte. Das massive Bombardement sollte den Stacheldraht, die Schützengräben und Kanonenstellungen des Feindes sowie die Nachschubwege zerstören und nicht zuletzt die Soldaten demoralisieren. Und dies gelang vielfach. Der dauernde Lärm und die Unberechenbarkeit des Risikos zeigten ihre Wirkung. Sie lösten Angst, Schreckhaftigkeit, innere Unruhe und gesteigerte Erregbarkeit aus und führten massenhaft zu Krankmeldungen unter den Soldaten.

An Herrn Clauss: Um was geht es im Projekt Der laute Krieg und die Laute des Krieges. Belliphonie im Mittelalter“? Wie klang Krieg im Mittelalter – woher weiß man das? Was sind Parallelen und Unterschiede zu heute? Mit was beschäftigen Sie sich derzeit insbesondere?

M. Clauss: In diesem Projekt erforschen wir die akustische Dimension mittelalterlicher Kriege. Wir verwenden dafür den Begriff Belliphonie, den der US-amerikanische Musiksoziologe Martin Daughtry geprägt hat, der auch auf unserer Tagung sprechen wird. Darunter fassen wir alles Akustische, das in Verbindung mit Kriegen steht – vom Kampfeslärm auf dem Schlachtfeld bis zur klanglichen Gestaltung von Kriegserzählungen. Wir wollen herausfinden, mit welchen methodischen Mitteln man diese Dimension des Krieges erfassen kann. Dabei konzentrieren wir uns vor allem auf textliche Quellen, vornehmlich Erzählungen in der Literatur und Chronistik. Diese untersuchen wir darauf, welche Klänge und Geräusche in welchen Kontexten und mit welcher Absicht erwähnt werden und was unerzählt bleibt. Wir können aufgrund der Quellenlage nicht vollständig rekonstruieren, wie der Krieg im Mittelalter geklungen hat, aber doch ein Bild davon ermitteln, welche akustischen Phänomene vornehmlich erinnert wurden. Dabei finden sich Parallelen und Unterschiede zu modernen Kriegen, wie etwa der Einsatz von Klängen zur Einschüchterung des Gegners oder von sonic weapons. Unterschiede liegen vor allem in technischen Dimensionen, etwa wenn man an die US-Soldaten im Irak und ihre iPods denkt. Derzeit beschäftige ich mich vor allem mit der materiellen Dimension der mittelalterlichen Belliphonie, wie etwa den Klängen mittelalterlicher Hörner oder die Glöckchen an den Rüstungen mittelalterlicher Ritter.

Informationen zur Tagung:

Der Sound des Krieges. Interdisziplinäre und interepochale Fachtagung des Arbeitskreises Militärgeschichte e.V.
Freie Universität Berlin, Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften, Koserstraße 20, Hörsaal B (Mittwoch, 27. bis Freitag, 29. September 2023)
organisiert von Martin Clauss/Gundula Gahlen/Oliver Janz
Livestream der Tagung und weitere Informationen unter:
https://www.geschkult.fu-berlin.de/e/fmi/bereiche/ab_janz/Tagungen/Der-Sound-des-Krieges.html
Anmeldungen zur Tagung richten Sie bitte bis zum 10.9.2023 per E-Mail an:
Katja Seyffert-Weiß (geschaeftsstelle@portal-militaergeschichte.de)

Dieser Beitrag wurde redaktionell betreut durch Jannes Bergmann.


Zitierempfehlung: Dennis Yücel, Der Sound des Krieges. Interview mit Martin Clauss und Gundula Gahlen zur bevorstehenden AKM-Tagung an der Freien Universität Berlin (27. bis 29. September 2023), in: Portal Militärgeschichte, 08. September 2023, DOI: https://doi.org/10.15500/akm.08.09.2023.

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